Die Botschaft ist: Unsere Welt ist unsicher und krisenhaft, und was wir tun können, ist, uns dem anzupassen. Die Deregulierung von Arbeitsmärkten wird in dieser Logik beispielsweise zu einer notwendigen Anpassung erklärt.
Der Kerngedanke von Resilienz ist etwas, das unserem Verständnis von Demokratie zuwiderläuft. Er setzt ja eine Krisen- und Notsituation voraus. In so einer Situation setze ich mich ja nicht hin und diskutiere mit anderen über die beste Lösung, sondern ich suche den schnellsten oder sichersten Ausweg. Das Konzept Resilienz ist daher auch anfällig für autoritäre Modelle.
Ein anderes Beispiel ist der Klimawandel. Ein Ansatz wäre, den Temperaturanstieg zu begrenzen. Dazu müssten wir aber deutliche Maßnahmen ergreifen. Oder wir orientieren uns in Richtung Resilienz, und das heißt dann zum Beispiel, dass man die der Erderwärmung als unabänderlich in Kauf nimmt und zugleich versucht, sich besser an die neuen Bedingungen anzupassen.
Das ignoriert natürlich, dass es Länder und Regionen gibt, die sich nicht so ohne weiteres dem Klimawandel anpassen können.
Stefanie Graefe: Ja. Auch auf individueller Ebene würde ich ein kleines Fragezeichen an die Annahme machen, dass Resilienz umfassend erlernbar ist. Es ist auch schwierig, das wissenschaftlich zu messen. Die Wirksamkeitsstudien, die es gibt, basieren vornehmlich auf Selbsteinschätzungen von Leuten, die einen Resilienzworkshop absolviert haben. Und wenn man fragt, ob sie glauben, dass sie nun belastbarer sind, dann kann man davon ausgehen, dass viele Ja sagen. Denn sie wollen das ja auch nicht umsonst gemacht haben. Was Resilienztrainings langfristig und konkret wirklich bringen, wissen wir nicht.
Und wo liegt die Grenze zwischen Selbstverbesserung und Selbstausbeutung?
Stefanie Graefe: Diese Grenze lässt sich nicht genau bestimmen. Aus Perspektive des Individuums würde ich sagen, dass immer da, wo ich das Gefühl habe, dass ich mein ganz normales Leben nicht mehr ohne spezielles Training bewältigen kann, so eine Grenze erreicht ist.
Gesellschaftlich würde ich diesen Punkt da sehen, an dem – zum Beispiel in den Medien – nicht mehr über Ursachen von Stressbelastung gesprochen wird, sondern die Frage in den Vordergrund rückt, was die einzelnen Menschen dafür tun können, um sich an die schwierigen Bedingungen anzupassen. Man sollte doch zuerst fragen, welche Rahmenbedingungen Menschen brauchen, um gut leben zu können. Wenn das erfüllt ist, werden immer noch Probleme bleiben, und dann kann man ja immer noch fragen, was auf der individuellen Ebene zu tun ist.
Ist die Frage nach der Grenze also generell falsch? Geht es eher um die Frage der Reihenfolge?
Stefanie Graefe: Ja, das kann man so sagen. Ein Beispiel: Unter der Überschrift Resilienz wird betont, dass Kunstprojekte Menschen helfen können, die von Armut betroffen sind, weil malen oder töpfern das Gefühl verstärkt, etwas Sinnvolles zu tun. Ich habe nichts gegen solche Kunstprojekte und bezweifle nicht, dass sie Menschen gut tun können. Wenn aber die Frage, wie man als Gesellschaft Armut verhindern oder zumindest verringern kann, ganz in den Hintergrund rückt, dann ist das ein Problem. Ich finde es schwierig, wenn sich Diskurse so umdrehen.