Ursachen im Blick behalten

Die Schattenseiten der Resilienz erkennen

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Unsere Chefs finden: Wir sollten resilient sein und damit besonders leistungsfähig. Warum das aber nicht immer der richtige Weg ist, erfährst du hier.

Engagierte und leistungsfähige Arbeitnehmerinnen und Arbeiter. Das wünschen sich viele Vorgesetzte. Deswegen fällt für mehr Widerstandskraft im Job auch immer öfter das Schlagwort Resilienz. Aber das ist gar nicht immer der richtige Weg.

Ich habe mit der Soziologin Stefanie Graefe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Interview über die Schattenseiten der Resilienz in der modernen Arbeitswelt gesprochen.

Was ist schlecht daran, die eigene Resilienz zu trainieren?

Resilienz ist etwas, das unserer demokratischen Gesellschaft zuwiderläuft, sagt Stefanie Graefe.,
privat
Stefanie Graefe sieht ein Problem darin, dass Resilienz derzeit so oft an erster Stelle steht.

Stefanie Graefe: Grundsätzlich ist daran nichts schlecht, wobei es bei Resilienz nicht nur darum geht, sich zu verbessern, sondern die eigene Krisenfestigkeit auszubauen.

Das ist etwas, das alle Menschen wollen. Niemand will so schwer von einem Schicksalsschlag getroffen werden, dass er oder sie nie wieder auf die Beine kommt. Was ich allerdings problematisch finde, ist, wenn das zu einem Leitbild allen Handelns oder sogar zu einem Synonym guten Lebens wird.

Wie wirkt sich so ein Leitbild aus?

Stefanie Graefe: Dazu muss man wissen, was das Konzept der Resilienz besagt. Im Kern geht es um die Fähigkeit, sich an schlechte Umstände gut anpassen zu können. Wird Resilienz zum Leitbild, wird erstens die Anpassung an Lebensverhältnisse zu einer zentralen Tugend und nicht die Gestaltung dieser Lebensverhältnisse. In einer demokratischen Welt gehen wir ja doch eigentlich davon aus, dass wir unsere Rahmenbedingungen gemeinsam gestalten können.

Zweitens gerät die Frage nach den Ursachen für die Probleme, an die wir uns anpassen sollen, aus dem Blick.

In welchen Bereichen wird das deutlich?

Stefanie Graefe: Das kann man sehr gut in der Arbeitswelt beobachten. Da wird die Verantwortung auf das Individuum verlagert. Es muss sich an die Rahmenbedingungen anpassen, und die Frage, welcher dieser Rahmenbedingungen man verändern könnte, spielt kaum noch eine Rolle.

Es gibt in der Arbeitswelt die Unterscheidung zwischen Verhältnis- und Verhaltensprävention, und die Tendenz geht inzwischen sehr stark in Richtung Verhaltensprävention. Wir fragen da nicht mehr nach den Arbeitsbedingungen, sondern wir fragen nach den Belastbarkeiten der Beschäftigten. Resilienz verstärkt diesen Trend.

Stichwort Resilienz

Der Begriff „Resilienz“ stammt ursprünglich aus der Materialkunde. Gemeint war die Fähigkeit eines Stoffs, in seinen Urzustand zurückzukehren, nachdem er verformt worden war. Vor einigen Jahren hat der Begriff Eingang in die Psychologie gefunden. Resilienz meint hier Widerstandsfähigkeit gegen die Zumutungen des Lebens, also das Gegenteil von Verwundbarkeit.

Lange ging die Forschung davon aus, dass Resilienz ein fester Bestandteil der Persönlichkeit eines Menschen ist – also durch die Gene und die Erziehung im Kindesalter festgelegt und unveränderbar. Inzwischen glaubt sie: Die individuelle Persönlichkeit beeinflusst die jeweilige Widerstandsfähigkeit, aber man kann Resilienz auch trainieren

Haben Sie Beispiele für fehlgeleitete Resilienz?

Stefanie Graefe: Ich weiß ein Beispiel aus einem psychiatrischen Krankenhaus. Den Beschäftigten werden Techniken empfohlen, die aus dem Soldatentraining für Kriegseinsätze stammen. Sie sollen lernen, alle ihre Kräfte zusammenzunehmen und sich in ihrer Freizeit so effizient zu erholen, dass sie langfristig arbeitsfähig bleiben. Die Frage, wie so ein Krankenhaus organisiert sein sollte und wie viel Personal es braucht, um Patientinnen und Patienten angemessen versorgen zu können, rückt da in den Hintergrund.

Ein anderes Beispiel stammt aus dem Bereich Schule. Lehrerinnen und Lehrer berichten mir, dass ihre psychische Belastung zwar durchaus erfasst wird. Aber als Konsequenz daraus wird vielleicht mal ein Yoga-Raum eingerichtet, ein Wasserspender aufgestellt oder das Lehrerzimmer neu gestrichen.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, aber es ändert am Problem nichts. Gerade die jüngeren Kolleginnen und Kollegen, so wurde mir berichtet, stellen das häufig gar nicht mehr infrage. Manche reduzieren sogar freiwillig ihren Stellenumfang, arbeiten aber de facto weiter Vollzeit, weil sie dann ihre Arbeit so schaffen, dass sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird.

Wie wirkt sich der Resilienzbegriff außerhalb der Arbeitswelt aus?

Stefanie Graefe: In der Frage, wie wir mit alten und pflegebedürftigen Menschen umgehen, boomt der Resilienzbegriff derzeit auch sehr stark. Älteren Menschen und pflegenden Angehörigen wird einerseits gesagt, dass es Menschen gibt, die noch viel schlimmer dran sind als sie selbst, andererseits, dass es Menschen in ähnlichen Situationen gibt, die aber viel besser klarkommen. Der Anspruch, dass bestimmte soziale Bedürfnisse erfüllt werden, auch ohne dass ich zuerst meine eigene Belastbarkeit unter Beweis stelle, tritt in den Hintergrund.

Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen gewinnt der Resilienzbegriff an Einfluss: Es gibt praktisch keine große internationale Politikorganisation mehr, ob das die Weltbank oder die EU ist, die ohne Strategiepapiere auskommt, die Resilienz im Titel führen.

Buch-Infos

Stefanie Graefe: Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit; Transcript Verlag 2019; 234 Seiten; 19,99 Euro.

Die Botschaft ist: Unsere Welt ist unsicher und krisenhaft, und was wir tun können, ist, uns dem anzupassen. Die Deregulierung von Arbeitsmärkten wird in dieser Logik beispielsweise zu einer notwendigen Anpassung erklärt.

Der Kerngedanke von Resilienz ist etwas, das unserem Verständnis von Demokratie zuwiderläuft. Er setzt ja eine Krisen- und Notsituation voraus. In so einer Situation setze ich mich ja nicht hin und diskutiere mit anderen über die beste Lösung, sondern ich suche den schnellsten oder sichersten Ausweg. Das Konzept Resilienz ist daher auch anfällig für autoritäre Modelle.

Ein anderes Beispiel ist der Klimawandel. Ein Ansatz wäre, den Temperaturanstieg zu begrenzen. Dazu müssten wir aber deutliche Maßnahmen ergreifen. Oder wir orientieren uns in Richtung Resilienz, und das heißt dann zum Beispiel, dass man die der Erderwärmung als unabänderlich in Kauf nimmt und zugleich versucht, sich besser an die neuen Bedingungen anzupassen.

Das ignoriert natürlich, dass es Länder und Regionen gibt, die sich nicht so ohne weiteres dem Klimawandel anpassen können.

Stefanie Graefe: Ja. Auch auf individueller Ebene würde ich ein kleines Fragezeichen an die Annahme machen, dass Resilienz umfassend erlernbar ist. Es ist auch schwierig, das wissenschaftlich zu messen. Die Wirksamkeitsstudien, die es gibt, basieren vornehmlich auf Selbsteinschätzungen von Leuten, die einen Resilienzworkshop absolviert haben. Und wenn man fragt, ob sie glauben, dass sie nun belastbarer sind, dann kann man davon ausgehen, dass viele Ja sagen. Denn sie wollen das ja auch nicht umsonst gemacht haben. Was Resilienztrainings langfristig und konkret wirklich bringen, wissen wir nicht.

Und wo liegt die Grenze zwischen Selbstverbesserung und Selbstausbeutung?

Stefanie Graefe: Diese Grenze lässt sich nicht genau bestimmen. Aus Perspektive des Individuums würde ich sagen, dass immer da, wo ich das Gefühl habe, dass ich mein ganz normales Leben nicht mehr ohne spezielles Training bewältigen kann, so eine Grenze erreicht ist.

Gesellschaftlich würde ich diesen Punkt da sehen, an dem – zum Beispiel in den Medien – nicht mehr über Ursachen von Stressbelastung gesprochen wird, sondern die Frage in den Vordergrund rückt, was die einzelnen Menschen dafür tun können, um sich an die schwierigen Bedingungen anzupassen. Man sollte doch zuerst fragen, welche Rahmenbedingungen Menschen brauchen, um gut leben zu können. Wenn das erfüllt ist, werden immer noch Probleme bleiben, und dann kann man ja immer noch fragen, was auf der individuellen Ebene zu tun ist.

Ist die Frage nach der Grenze also generell falsch? Geht es eher um die Frage der Reihenfolge?

Stefanie Graefe: Ja, das kann man so sagen. Ein Beispiel: Unter der Überschrift Resilienz wird betont, dass Kunstprojekte Menschen helfen können, die von Armut betroffen sind, weil malen oder töpfern das Gefühl verstärkt, etwas Sinnvolles zu tun. Ich habe nichts gegen solche Kunstprojekte und bezweifle nicht, dass sie Menschen gut tun können. Wenn aber die Frage, wie man als Gesellschaft Armut verhindern oder zumindest verringern kann, ganz in den Hintergrund rückt, dann ist das ein Problem. Ich finde es schwierig, wenn sich Diskurse so umdrehen.

Resilienz in der Krise

Fu willst tiefer in das Thema einsteigen? Für das Bruno Kreisky Forum erklärt Stefanie Graefe bei einer Diskussionsveranstaltung Mitten in der Corona-Pandemie noch einmal die Ambivalenz von Reslilienz, und wie uns diese Widerstandskraft in der Krise begleitet. 🔽

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