Pro & Contra

Bundesjugendspiele ohne Leistungsgedanken?

Stefanie und Andreas diskutieren über den Wert von Leistung.
Christoph Boeckheler
PRO CONTRA

Bundesjugendspiele: Albtraum oder Segen? In Hessen ist der Leistungsgedanke dem Teamgeist gewichen. Doch ist das gut so? Chefredakteur Andreas und Redakteurin Stefanie sind uneins.

Pro: Soziale Kompetenz ist wichtiger als die Krone für den Sieger

Stefanie Bock
Christoph Boeckheler

Schneller, höher weiter! Prinzipien, die unsere Kinder brauchen. Wirklich? Prinzipien, die sie als Kinder rund um die Uhr leben sollen? Genau dem sollte eigentlich wenigstens für einen Moment ein Riegel vorgeschoben werden: mit der Reform der Bundesjugendspiele an Grundschulen. Keine Punkte und kein Wettkampf. Mehr Sportfest eben.

Rolle rückwärts bei den Bundesjugendspielen

Statt Weitsprung, springen durch einen Reifen, statt Zeitnahme beim 50 Meter-Sprint ein 15 Minuten-Lauf ohne Stoppuhr. Ohne den ewigen Vergleich mit den anderen, ohne das frustrierende Gefühl, nicht schnell genug gerannt, den Ball nicht weit genug geworfen, nicht weit genug im Sand gelandet zu sein.

Das sind die Bundesjugendspiele

Das sind die neuen Bundesjugendspiele: Ab dem Schuljahr 2023/2024 finden an Grundschule die Bundesjugendpiele nicht mehr als Wettkampf, sondern als Wettbewerb statt - sofern sie in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen angeboten werden. Die meisten Schulen entscheiden sich seit jeher für Leichtathletik. Anders als ein Wettkampf ist ein Wettbewerb nicht nach klaren Regeln und Punktetabellen normiert. Mit der Neuerung sollen die Spiele kindgemäßer werden.

Schön wäre es, aber es gibt da ein Problem: Die Länder wollen die Reform zurücknehmen.Sie wollen die Bundesjugendspiele wieder zu einem echten Wettkampf machen: aus Angst die Leistungsfähigkeit unserer Kinder und damit unsere Zukunft würde sich in Luft auflösen.

Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) warnte: „Es geht in die völlig falsche Richtung, wenn wir unseren Kindern vermitteln, dass Leistung nichts mit dem Leben zu tun hat.“ Wir bräuchten eine Rückkehr zum Leistungsgedanken. Was er vergisst: Der Alltag unserer Kinder besteht aus mehr als einem Vormittag im Jahr an einer Grundschule.

Anders als bislang, so sehen die modifizierten Bundesjugendspiele vor, sollte in diesem Jahr nicht die Leistung der Kinder im Mittelpunkt stehen. Stattdessen:

  • Fairness
  • Respekt
  • Teamfähigkeit
  • soziale Kompetenzen

Ebenso sollte die  Freude am Sport erhalten werden - inmitten einer Gesellschaft, die sich laut WHO, viel zu wenig bewegt.

Soziale Kompetenzen statt Leistungsstreben

Ein Vormittag, an dem Jungen und Mädchen abseits von Klausuren, Referaten und Vokabeltests nicht nach Leistung streben. Wo nicht Verlierer:innen belächelt und Sieger:innen, die besonders fit in der Nischensportart Leichtathletik sind, auf den Thron gehoben werden. Ein Vormittag, an dem Kinder, denen Bewegung schwerfällt, die Leistungen nur schwer erbringen können, nicht herunterfallen. Ein Vormittag, den Schule nutzen kann, um Kindern in ihren sozialen Kompetenzen zu stärken.

Autofahrer:innen drängeln auf der Autobahn, Egoist:innen behindern Rettungskräfte bei ihrer Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten in der Schule und im Verein sind unbeliebt, andere grüßen ist out. „Ellenbogen-Gesellschaft“, „Land voller Narzissten“ lauten da schon mal Überschriften in Medien. Grund dafür, so Politikwissenschaftlerin Heike Leitschuh. sei der Druck, dem wir rund um die Uhr ausgesetzt sind: „Konkurrenz spielt eine große Rolle und Stress.“

Statt ich gegen du und du gegen ich, wer ist besser, wer sammelt mehr Punkte, setzen die modifizierten Spiele auf das Team. In unserer Gesellschaft  bringen wir alle permanent Leistung, messen uns in unserem Alltag ständig mit anderen:

Wenn wir Leistungsdruck herausnehmen, ist das für Kinder ein wertvoller Beitrag für ihre Persönlichkeit.

Achtung: Es gibt echte Probleme an den Schulen

Ein Vormittag im Jahr an einer Grundschule: Keine große Sache. Sollte man meinen. Wir haben Gemeinschaftsgefühl und Fairness so dringend nötig.

Bei all der hitzigen Debatte um die Zukunft der Leistungsfähig der Kinder, könnte man übrigens glatt übersehen: Es gibt echte Probleme an unseren Schulen.

Nur ein kleiner Auszug:

  • In Hessen fehlen laut Schätzungen fünf Milliarden Euro, um die Schulen zu sanieren und neue Schulen zu bauen – bei steigenden Schüler:innenzahlen.
  • Vor allem an Grund- und Hauptschulen fehlt es an Personal.
  • Noch immer ist der Digitalpakt nicht an allen Schulen vollständig umgesetzt.
  • Jugendliche rutschen politisch nach rechts und favorisieren Populisten.
  • Die Trendstudie Jugend zeigt, ein Viertel der Jugendlichen hat laut eigener Aussagen psychische Probleme. Tendenz steigend.

Probleme, die weit größer und vor allem wichtiger sind als ein halbtägiges Sportevent. Es wird Zeit, dass sich das hessische Kultusministerium den echten Problemen an den Schulen widmet.

Contra: Die Bundesjugendspiele brauchen klare Sieger

Andreas Fauth
Christoph Boeckheler
Andreas Fauth

Da ist es wieder: dieses Fußball-Fieber – vor dem Fernseher zittern oder auf der Fanmeile der deutschen Elf die Daumen drücken. Der Sieg muss schon sein und am besten der Titel, Deutschland Europameister! Wettkampf ist aufregend, sich vergleichen, und klar: am liebsten siegen.

Team-Geist und nicht Siegerthron

Beim Sport in der Schule ist das jetzt anders. Seit diesem Schuljahr gilt bei den Bundesjugendspielen: Wettbewerb und nicht Wettkampf, Team-Geist und nicht Siegerthron. Zusammenhalt und Fairplay sind das Ziel, nicht mehr die eigene Leistung steht im Vordergrund.

Gemeinsam lachen, gemeinsamen weinen – verlieren lernen gehört zum Spiel dazu.

Schade, gerade das macht ein Turnier doch so spannend: Gemeinsam lachen, gemeinsamen weinen – verlieren lernen gehört zum Spiel dazu. Niederlagen einstecken, andere trösten und wieder aufbauen: Das ist gelebter Team-Geist, schweißt zusammen, übrigens auch die vielen Fans der Fußball-Europameisterschaft – über Ländergrenzen hinweg.

Hit Radio FFH Zwischenton

Einige unserer indeon-Kommentare hörst du auch auf Hit Radio FFH. Immer mittwochs um 21.40 Uhr bekommst du hier Impulse für deinen Alltag. Sonntags zwischen 6 und 9 Uhr berichtet FFH Kreuz & Quer über aktuelle Themen rund um Hessens Kirchtürme.

Dieses Wettkampf-Fieber darf gerne einmal im Jahr auch in die Schulen einziehen, schließlich soll Schule aufs Leben vorbereiten: Unsere Welt ist nicht immer gerecht und wir müssen lernen damit umzugehen. Bei den Bundesjugendspielen kann das ganz spielerisch gelingen, in einem geschützten Raum, ganz kindgerecht.

Erfolg und Scheitern gehören zum Leben

Hinzu kommt, dass im Sport viele Kinder einen Erfolg feiern dürfen, der ihnen bei Mathe oder Deutsch oft nicht vergönnt ist. Erfolg und Scheitern gehören zum Leben dazu: Wer als Erwachsener nur schimpft und am liebsten den anderen die Schuld gibt, hat oft nicht gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Auch Trost zu erfahren, kann eine wertvolle Erfahrung sein.

Mal die Rolle der Sieger, aber auch mal die Rolle der Verlierer spielen, das übt fürs Leben. Sich in andere hineinversetzen, mitlachen und mitweinen schafft Freundschaften und ist gelebte Toleranz. Das zeigt uns auch das friedliche Fest auf den Fanmeilen der Europameisterschaft in diesem Jahr. Warum sollten wir gerade darauf bei den Bundesjugendspielen verzichten?

Wie stehst du zu den Bundesjugendspielen?

Wie geht es dir mit den Bundesjugendspielen und dem Leistungsstreben in unserer Gesellschaft? Misst du dich gerne mit anderen? Poste uns deine Meinung in den sozialen Netzwerken.

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