Krieg im Nahen Osten

Mit persönlichen Begegnungen gegen Judenhass

Zwei junge Juden und Jüdinnen stehen in einer Turnhalle vor einer Gruppe.
Meet a Jew
Ehrenamtliche Jüdinnen und Juden gehen in Schulen, Unis und Vereine, um über Antisemitismus aufzuklären

Der Terror der Hamas hat auch in Deutschland für Juden und Jüdinnen viel verändert. Sie haben Angst vor Übergriffen und wachsendem Antisemitismus.

Eine Gruppe Jugendlicher gruppiert sich um ein grßes Plakat des Projekts
Meet a Jew
Viele junge Leute engagieren sich bei "Meet a Jew".

Seit dem 7. Oktober schaut Mascha genauer hin. Mascha ist Projektkoordinatorin bei „Meet a Jew“, einem Begegnungsprojekt des Zentralrats der Juden. Deutschlandweit besuchen bei Meet a Jew jüdische Ehrenamtliche vor allem Schulen, aber auch Universitäten und Sportvereine, um vom Alltag jüdischer Menschen in Deutschland zu erzählen.

Hamas-Terror hat für Juden und Jüdinnen viel verändert

Seit dem Terror-Angriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober liegt der Fokus auf dem Nahost-Konflikt, sagt Mascha. „Das erschwert unsere Arbeit.“ In manchen Klassen herrsche eine emotionale Stimmung, bereits geplante Begegnungen mussten verschoben werden.

„Wir führen unsere Arbeit fort, aber wir fragen vorher bei den Schulen nach: wie wird im Klassenraum über den Krieg gesprochen?“, erklärt Mascha, die ihren Nachnamen öffentlich nicht lesen möchte.

"Meet a Jew"

Eine persönliche Begegnung bewirkt, was tausend Bücher nicht leisten können. Das ist die Idee hinter Meet a Jew. Und deshalb gehen jüdische Ehrenamtliche in Schule, Vereine und Unis, um durch persönliche Begegnungen Vorurteile und Antisemitismus abzubauen. Meet a Jew gibt es deutschlandweit seit 2020. Die Treffen dauern rund 90 Minuten. In dieser Zeit erzählen zwei Juden oder Jüdinnen aus ihrem Leben und von ihrem Glauben. Anschließend beantworten sie Fragen aus der Runde. Die Treffen sind stets kostenlos.  Hier findest du alle Informationen.

„Meet a Jew“ gibt es seit 2020; das Projekt ging aus zwei Vorgängerinitiativen hervor. Im vergangenen Jahr hätten mehr als 600 Begegnungen stattgefunden, erzählt Mascha.

Bis zum Juli dieses Jahres seien es bereits um die 700 gewesen. In den vergangenen Wochen seien besonders viele Anfragen gestellt worden. Schon jetzt plane man Begegnungen, die erst im Januar stattfinden werden.

Gemeinsamkeiten von Judentum und Islam

Bei den Treffen, zu denen die Ehrenamtlichen meistens zu zweit gehen, geht es etwa um koscheres Essen und Kleidervorschriften. In der Regel mache man dabei sehr gute Erfahrungen. Auch mit Muslimen. Oft würden diese Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Islam feststellen, zum Beispiel bei Fragen wie: Was ist koscher? Was halal? „Für viele ist das ein Aha-Erlebnis“, so Mascha.

Eine der rund 500 Ehrenamtlichen, die für „Meet a Jew“ im Einsatz sind, ist Sophia. Auch sie möchte ihren Nachnamen in diesem Text nicht lesen. Die 27-jährige Doktorandin engagiert sich seit drei Jahren im Rhein-Main-Gebiet für das Projekt. „Ab dem zweiten Weltkrieg kommen Juden in Geschichtsbüchern nicht mehr vor“, begründet sie ihre Motivation. „Wir vermitteln den Alltag des modernen Judentums.“

 

Juden müssen sich um ihre Sicherheit sorgen

Seit dem 7. Oktober hatte Sophia keine Begegnung über „Meet a Jew“. Würde sie derzeit mit einem anderen Gefühl als sonst in eine Schule gehen? „Ich habe mir in drei Jahren nie Gedanken um meine Sicherheit gemacht“, sagt sie. Das sei nun anders. Sie würde nun stärker darauf achten, wo sie hingehe.

„Hätte ich in den kommenden Wochen eine Begegnung, würde ich zu 95 Prozent zur aktuellen Lage gefragt werden“, ist sich Sophia sicher. Dabei sei der Nahost-Konflikt von Schüler-Seite aus bislang kaum Thema gewesen.

9. November

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 organisierten SA-Truppen und SS gewalttätige Übergriffe auf Juden und Jüdinnen. Am Abend davor hatte Propagandaminister Joseph Goebbels betont, Ausschreitungen gegen Juden seien von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren. Allerdings sei ihnen "soweit sie spontan entstünden auch nicht entgegenzutreten". Die Bilanz: Rund 7.500 jüdische Geschäfte wurden zerstört, mehr als 1.200 Synagogen niedergebrannt und etliche Wohnungen verwüstet. 91 Juden getötet. In den Tagen darauf mehr als 30.000 jüdische Männer verhaftet und in die verschleppt. Etwa 1.300 Personen starben infolge der Novemberpogrome durch Gewalt, unmenschliche Haftbedingungen oder Suizid. Die Übergriffe am 9. November 1938 gingen als „Reichspogromnacht“ in die Geschichte ein.

Mascha erzählt von einzelnen Schülerinnen und Schülern, die in den vergangenen Wochen eine Teilnahme an einer „Meet a Jew“-Begegnung verweigert hätten. In solchen Fällen würden Bildungsprojekte etwa von der Amadeu Antonio Stiftung empfohlen. „Wir wollen unsere Ehrenamtlichen nicht in eine Situation bringen, in der sie einer emotional aufgeladenen Stimmung ausgesetzt sind.“

Ein Gefühl von Unsicherheit

Auch David ist vorsichtiger geworden. Der 27-Jährige engagiert sich seit 2019 im Raum Frankfurt für „Meet a Jew“ und dessen Vorgängerprojekt. David heißt eigentlich anders, seinen echten Namen möchte er aufgrund der momentanen Lage nicht öffentlich lesen.

„Bislang habe ich mich nie unsicher gefühlt“, beschreibt er seine bisherigen Begegnungen über „Meet a Jew“. Nun würde er in eine Oberstufe oder eine Berufsschule, wo teils erwachsene Männer und Frauen sitzen, „auf keinen Fall allein gehen.“

Wichtig wäre ihm, vorher bei der Schule anzurufen, zu fragen: gibt es Vorwissen bei den Schülerinnen und Schülern? In welchem Kontext soll die Begegnung stattfinden? Erst dann könne er beurteilen, ob er sich wohlfühlen würde.

"Meet a Jew"eignet sich gut, um Vorurteile abzubauen

Das Projekt eigne sich gut, um Vorurteile aufzubrechen, findet David. Grundschülerinnen und -schüler hätten ihn schon gefragt, ob seine Eltern reich seien, ob sie zu Hause Gold liegen hätten. „Wenn man den Schülern nach 90 Minuten in die Augen schaut, merkt man oft, dass ein Umdenken stattgefunden hat“, beobachtet David.

Es ist wie ein Samen, den man pflanzt.

Er will sich weiterhin bei „Meet a Jew“ engagieren – auch, wenn der 7. Oktober seinen Alltag verändert hat. David, seine Familie und seine jüdischen Freunde fragen sich, ob sie an jüdischen Orten noch sicher sind, etwa im Gemeindehaus oder bei Veranstaltungen. „So angespannt wie derzeit war ich noch nie“, erzählt er.

Der 9.November steht unter einem besonderen Fokus

Das Ausmaß des Antisemitismus, der Juden in Deutschland seit Beginn des Krieges entgegenschlägt, habe ihn überrascht. Der 9. November sei für ihn in diesem Jahr daher noch bedeutsamer als sonst. Anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht 1938 würde er sich wünschen, „dass nicht-jüdische Menschen, die in der Mitte der deutschen Gesellschaft stehen, klar Stellung beziehen.

Dass sie sagen, dass Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft keinen Platz hat. Wenn sie mit der Achsel zucken und sagen, mich betrifft es ja nicht, wird das Problem nur größer.“

Auch in Sophias Alltag hat der Krieg Spuren hinterlassen. Bis vor wenigen Wochen trug sie eine Davidsternkette. Ihre Eltern baten sie, diese abzulegen, aus Angst vor Anfeindungen.

„Dass jetzt jede jüdische Einrichtung von der Polizei noch mehr bewacht werden muss, finde ich sehr schade“, sagt Sophia. Die solidarischen Nachrichten, die sie in den vergangenen Wochen von Nicht-Juden erhielt, könne sie an einer Hand abzählen.

Bei „Meet a Jew“ will auch sie sich weiterhin engagieren. „Ich liebe das Projekt und lerne bei jedem Treffen dazu.“ Sie erzählt von einer Begegnung vor einigen Monaten in einer Grundschule: Als dort die Verfolgung von Juden thematisiert wurde, war ein Mädchen darüber so entsetzt, dass sie zu Sophia sagte:

Ich beschütze euch!

„Da bin ich geschmolzen“, erinnert sich Sophia, „solche Momente möchte ich nicht missen.“ Gerade jetzt sei es wichtig, gegen Vorurteile anzugehen und den Antisemitismus nicht gewinnen zu lassen.

Was tust gegen Antisemitismus?

Schweigen bringt nichts. Wir müssen alle gegen Antisemitismus Stellung beziehen. Schreib uns gerne deine Erfahrungen auf Social-Media

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