Als der American-Airlines Flug 11 am 9. September 2001 um 8.46 in den Nordturm des World Trade Centers (WTC) kracht, steht Pfarrer Sönke Schmidt-Lange vor einer Klasse. Religionsunterricht in der internationalen Schule in Whiteplains, einem Vorort von New York. Kurz darauf klopft es, der Direktor will ihn sprechen. Er unterrichtet ihn über den Anschlag, von dem zu diesem Zeitpunkt niemand die Hintergründe kennt. Die beiden lassen alle Klassen in der Aula zusammenkommen, gemeinsam beten sie das Vaterunser.
In der evangelischen Gemeinde haben sich Gesprächsgruppen zusammengefunden, um das Erlebte zu verarbeiten. Das war nicht einfach, sagt der Pfarrer. Über der Stadt hing tagelang der Geruch von Verwesung, Besucher kamen und erzählten, sie hätten menschliche Überreste auf der Fensterbank oder in Blumentöpfen gefunden.
Im Sonntagsgottesdienst am 16. September 2001 griff er die überall gestellte Frage auf:
Hat Gott uns verlassen?
Nein, sagte Schmidt-Lange in seiner Predigt. „Die Opfer von Ground Zero und die anderen bei diesem Anschlag Umgekommenen und Zerschlagenen sind nicht von Gott verlassen. Sie sind Gott bekannt. Gott ist bei den Verlorenen, den Vermissten, den unter den Trümmern Zerschundenen, bei uns Überlebenden, und auch bei den irregeleiteten Gewalttätern.“
„Ich habe versucht deutlich zu machen, dass wir in unserem Glauben auch mit so etwas fertig werden“, dass nicht Rassismus und Hass auf den Islam die Antwort sind, sagt er.
Es habe dann zunächst vorsichtige und vermehrte Kontakte aus der Gemeinde heraus zu Muslimen gegeben, aber das sei nicht von Dauer gewesen. In der Gesellschaft habe er nach dem 11. September festgestellt, dass die Menschen sich oft mit persönlichen Segenswünschen verabschieden. Die Häufigkeit der Worte „bless you“ seien ebenso eine Folge des Anschlags wie eine neue Betonung des Familienlebens. Ihm selbst sei klar geworden, dass jeder Abschied der letzte sein kann.