Rücktritt Kardinal Marx

System Kirche verändern

Renate Haller
Kommentar von Renate Haller

Katholische Amtsträger haben über Jahre hinweg Kinder missbraucht. Ein Kardinal will deshalb zurücktreten. Sein Schritt ist ein wichtiges Zeichen.

Papst lehnt ab

Papst Franziskus hat mittlerweile den Rücktritt von Kardinal Marx abgeleht. In einem vom Vatikan veröffentlichten Brief an Marx schrieb Franziskus, dieser solle im Amt bleiben. "Genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising", schrieb Franziskus. "Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben: der traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Weise, wie die Kirche damit bis vor Kurzem umgegangen ist", schrieb er Vatikanangaben zufolge in einem Brief an Marx. Er bitte ihn aber, im Amt zu bleiben. epd

Auf den Rücktritt des einen warten viele, ein anderer tut es. Am vorigen Wochenende überraschte der frühere Vorsitzende der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx mit seinem Rücktrittsgesuch. Er will damit Mitverantwortung übernehmen für „die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche“. Verantwortung nicht nur für mögliche persönliche Fehler, sondern für die Institution Kirche.

Dieser Schritt verdient Respekt, vor allem wegen seines Signals an die Opfer. Endlich ist da jemand, der sich nicht wegduckt, der anerkennt, dass es um weit mehr geht als das widerliche, menschenverachtende Fehlverhalten einiger weniger. Nämlich um das System Kirche, dass es viel zu lange ermöglichte, dass Amtsträger Kinder missbrauchen. Und dabei davon ausgehen konnten, dass ihnen nicht viel passieren wird. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, schlossen die Kirchen die Reihen und „lösten“ das Problem in aller Regel intern, schlimmstenfalls mit einer Versetzung in eine andere Gemeinde, in ein anderes Amt.

Verstoß gegen den Zölibat

Hintergrund

Kardinal Reinhard Marx hat Papst Franziskus gebeten, seinen Verzicht auf das Amt des Erzbischofs von München und Freising anzunehmen. In einem am vorigen Freitag veröffentlichten Brief vom 21. Mai an den Papst legte der Kardinal seine Gründe für diesen Schritt dar: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“ Der 67-Jährige ist seit 42 Jahren Priester und fast 25 Jahre Bischof. Sechs Jahre war er Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK).

Sein Rücktrittsgesuch setzt damit ein Zeichen, wie es sein Amtsnachfolger, der aktuelle DBK-Vorsitzende Georg Bätzing, formulierte. Marx wurden bislang nie persönlich Vorwürfe im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt gemacht. Dennoch will er als Bischof Verantwortung übernehmen – auch für die Institution, erklärte Marx.

Auch wenn er namentlich nicht genannt wird in dem Brief an den Papst, lesen viele darin einen Hinweis auf den seit längerem im Kreuzfeuer stehenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, der einen Rücktritt für sich bislang ausgeschlossen hat. Auch Kirchenrechtler Schüller sagt, Marx greife Woelki „frontal an, wenn er von denen spricht, die sich hinter juristischen Gutachten verstecken und nicht bereit sind, die systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt in der Kirche mit mutigen Reformen anzugehen“. epd

Dazu passt, dass nach katholischem Strafrecht Missbrauch bislang gewertet wird als Verstoß gegen den Zölibat. Erst kürzlich hat der Vatikan bekannt gegeben, sexuelle Gewalt künftig als Gewalt gegen Leben, Würde und Freiheit eines anderen Menschen zu behandeln. Die Änderung ist zu begrüßen, selbstverständlich. Sie zeigt aber, aus welcher Perspektive die katholische Kirche auf den Missbrauch geblickt hat. Da hat zwar jemand gegen das sechste Gebot „du sollst nicht ehebrechen“ verstoßen, im Falle der Priester gegen den Zölibat, aber das Leiden der Kinder stand nicht im Fokus.

Überfälliger Rücktritt

Den Rücktritt von Marx werten viele als Angriff auf den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der lange ein Missbrauchs-Gutachten unter Verschluss hielt. Vom Papst entsandte Visitatoren sollen das untersuchen. Möglich, dass ein zweiter Rücktritt folgt, er ist längst überfällig.

Gesetz zur Prävention formuliert

Was heißt das für die Protestanten? Auch hier gibt es Missbrauch, Vertuschung und völliges institutionelles Versagen. Deshalb hat sich die Evangelische Kirche vor ein paar Jahren auf den Weg gemacht. Einige Landeskirchen haben bereits Präventionsgesetze verabschiedet, mit denen Missbrauch künftig verhindert werden soll, andere sind dran. Was die Aufarbeitung angeht, hat aber auch die Evangelische Kirche Fehler gemacht.

Vorwurf des Machtmissbrauchs

Im vergangenen September erst wurde der Betroffenenbeirat als Gegenüber zu dem Beauftragtenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)  - der den Missbrauch aufabeiten soll - gegründet. Zwölf Frauen und Männer, die Missbrauch erlitten haben, bildeten das Gremium. Nach internen Auseinandersetzungen haben bereits im November fünf von ihnen den Beirat verlassen. Die Zusammenarbeit zwischen Betroffenen und Beauftragten lief schlecht, am 10. Mai schließlich setzte die EKD den Betroffenenbeirat aus.

Es hagelte Kritik von Seiten der bis dahin verbliebenen Mitglieder. Einige von ihnen warfen der Kirche öffentlich wiederholt Machtmissbrauch vor. Was tut die Kirche? Sie schweigt. Das sieht über Tage hinweg aus, als wolle die Kirche das Problem aussitzen – ein fatales Bild.

Transparenz und Offenheit notwendig

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, frühere Sprecherin des Beauftragtenrats, hat nun am vergangenen Wochenende betont, dass die Kirche nur lernen könne, wenn sie betroffene Menschen konsequent beteiligt. Und auch, dass der Beauftragtenrat Fehler gemacht habe. Das ist gut so. Es ist auch richtig, Außenstehende einzubinden um herauszufinden, was bislang bei der Aufarbeitung falsch gelaufen ist. Aber notwendig ist zu allen Zeiten Transparenz und Offenheit, vor allem gegenüber den Opfern.