„Gottes Zausel“

Weg zum Glauben: Warum ein Krankenpfleger Schäfer wurde

Thorsten Schmale: Vom Krankenpfleger zum Schäfer
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Vom Krankenpfleger im Knast zum Schafhirten in freier Natur: Was mit einem Hochzeitsgeschenk anfing, wurde für Thorsten Schmale aus dem Lahn-Dill-Kreis zur Berufung.

Sein Geld verdiente Thorsten Schmale als Krankenpfleger im Maßregelvollzug. Mit Nutztieren hatte er nichts am Hut, mit der Kirche auch nicht.

Doch dann wünschte sich seine Frau zur Hochzeit ein Pferd. Er konterte mit dem Wunsch nach Schafen. So beginnt die Geschichte von einem, der über seine Tiere wieder zum Glauben fand.

Thorsten Schmale mit seinen Hunden und einem Schaf
privat

Ein Kerl wie ein Baum, dieser Thorsten Schmale aus Bischoffen-Roßbach an der Aartalsperre im Lahn-Dill-Kreis, nicht weit weg von Gießen und Marburg. Der 43-Jährige züchtet Schafe, hat aber auch Kühe, Esel, Hühner und natürlich Hunde.

Schafhirte als Gottes Zausel unterwegs in Social Media

Zwei Hütehunde und ein Herdenschutzhund passen mit ihm auf - insbesondere auf die Schafe. „Wer sich mit uns beiden anlegt, traut sich was“, sagt er.

Der Herdenschutzhund, genannt kleiner Ömmes, bringt immerhin 70 Kilo auf die Waage. Auf Instagram nennt sich Schmale @Gottes Zausel, beschreibt sich als Christ, Biobauer, Demokrat.

Außerdem ist er Sprecher des Arbeitskreises christlicher Schaf- und Ziegenzüchter.

Gut gestylter Krankenpfleger

Mit Kirche hatte er eigentlich nicht viel zu tun. Als Kind schon, wegen der Eltern und Großeltern. „Dann kam ich in das Rotzlöffelalter und es war erst mal aus“, erinnert sich der Tierfreund.

Mit 18 trat er aus der Kirche aus.

Sein Geld verdiente er als Krankenpfleger im Maßregelvollzug. Damals: Irokesenschnitt, Baseballkappe, Zigarette im Mundwinkel – cooler Typ.

Auf den Pfad des Glaubens, auf den Weg zur Kirche zurück führten ihn dann gleich mehrere Menschen.

Es begann mit Pfarrer Paulfried Spies von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Er war Anstaltspfarrer in der Einrichtung, in der Schmale arbeitete. Wenn er Andachten hielt, musste er bewacht werden. Diese Aufgabe hat Thorsten Schmale gerne übernommen. „Dann konnte ich immer die Predigt hören“, sagt er. Irgendetwas habe da schon in ihm geschlummert.

Schafe als Zugang zum Glauben

Mit 26 heiratete Schmale. Seine damalige Frau wollte unbedingt ein Pferd. „Dann möchte ich Schafe“, habe er geantwortet. Zur Hochzeit schenkten Freunde ihm die ersten vier Tiere, bunt gemischt die Rassen.

Schmale aber hatte sich inzwischen verguckt in das Coburger Fuchsschaf, eine alte Rasse mit rötlichem Fell. Also kaufte er einen Bock, dann noch ein paar Mutterschafe. Und noch welche. Er pachtete eine Wiese dazu und noch eine.

Dann begann er ganz klassisch, seine Herde auch auf Fremdflächen zu weiden. In gar nicht so langer Zeit wuchs seine Schar auf 450 Tiere an.

Eine ökumenische Trauerfeier berührt den künftigen Schafhirten sehr

Inzwischen hat er nur noch ein Drittel davon. Gerade baut er seine Herde wieder aus.

Der Schafzüchter arbeitete zu dieser Zeit immer noch als Krankenpfleger, wenn auch mit reduzierter Stundenzahl. Eines Tages starb der Stationsarzt der Einrichtung. Der evangelische Pfarrer Spies und sein katholischer Kollege gestalteten eine ökumenische Trauerfeier. „Sie hat mich tief bewegt“, resümiert Schmale. Das war Schritt Nummer zwei.

Der Weg zum Schäfer mit christlichem Glauben

Beim Schritt Nummer drei spielt ein anderer Seelsorger eine Rolle. Frank W. Rudolph ist Pfarrer in Niederweidbach. Das gehört zur Gemeinde Bischoffen, Schmales Revier. „Er hat die Angewohnheit, meist zu Fuß unterwegs zu sein. Oft kam er an meinem Stall vorbei, wir unterhielten uns über Gott und die Welt“, erzählt Schmale.

Eines Tages habe er ihm ein Buch geschenkt „Termine mit Gott – 365 Tage mit der Bibel“. Und Schmale begann, Bibeltexte zu lesen, fing mit der Schöpfungsgeschichte an – immer bei den Schafen.

Dann besuchte er zum ersten Mal wieder einen Gottesdienst. „Das war wie ein Ankommen“, sagt Schmale. Das ist vier Jahre her. Inzwischen ist er Mitglied in der freikirchlichen Gemeinde Gladenbach-Erdhausen und bietet unter anderem Bibelarbeit für die Jugend an.

Der Pansen muss blubbern.

Den Job als Krankenpfleger hat Schmale längst aufgegeben. Allerdings kommt ihm sein medizinisches Wissen bei den Tieren zugute. „Ich sehe immer das Gesamtbild des Patienten. Der Pansen muss blubbern“, bringt er es auf den Punkt. Wenn es im großen Vormagen hörbar arbeitet, klappt jedenfalls die Verdauung.

Auch die Nachbarn melden sich zuerst bei ihm, wenn mit einem Vierbeiner etwas nicht in Ordnung scheint, ehe sie einen Tierarzt anrufen.

Gott hat eine komische Art von Humor.

Die Wertschätzung gefällt ihm. „Denn Hirten gehörten ja vom Ansehen her in die unterste Schublade, das tun sie immer noch“, urteilt Schmale über seinen Berufsstand.

Dabei ist das Berufsbild im Alten Testament sehr verbreitet: Abel, Abraham, Isaak oder Jakob waren Hirten. Mose wurde als Hirte seines Volkes angesehen. Schmales Lieblingsfigur in der Bibel ist David. Er brachte es vom Hirtenjungen zum König.

Schäfer Thorsten Schmale im Stall bei seinen Schafen
privat

„Gott hat eine komische Art von Humor“, findet Schmale. „Er mag die Chaoten so wie David, diejenigen, die nicht immer geradeausgehen, die rebellisch sind.“ Darin findet er sich wieder.

Schäfer entscheidet, wer leben darf und wer sterben muss - das ist nicht leicht

Die Bibel stelle den Hirten als Kümmerer dar. Und so sehe er sich auch. Das habe mit einer romantischen Vorstellung wenig zu tun. „Das hier ist harte Arbeit, auch emotional. Ich muss bestimmen, welches Tier geschlachtet wird und welches leben darf. Damit verdiene ich mein Geld“, erklärt der Schäfer.

Ich schaffe es einfach nicht.

Manchmal geht es über seinen Grenzen. Igor, den Ochsen zum Beispiel, hat er mit der Flasche großgezogen. Schon mit zwei Jahren hätte er ihn zum Schlachten verladen müssen. Jetzt ist er fünf. „Ich schaffe es einfach nicht“, sagt der Tierfreund und zuckt mit den Schultern.

Thorsten Schmale genießt es, abends im Stall zu stehen, über seine Tiere zu gucken und zu sehen, dass es allen gut geht. Aber er ist nicht nur Viehhalter, sondern auch Bio-Bauer, beackert seine Flächen Tag für Tag. Viele Kinder sind auf seinem Hof zu Gast, er bietet Eselreiten an,

Projekttage mit Schulklassen, Jungscharnachmittage, Seniorengruppen trinken Kaffee bei ihm – vor Corona drei bis vier Besuchergruppen pro Woche. Nun, nach einem langen Winter, wird es wieder deutlich mehr.

Ich fühle mich jetzt ein bisschen wie ein Geschenk beim Schrottwichteln.

Seine erste Frau hat ihn verlassen. Dann kam eine andere Frau, die ging aber auch. „Ich fühle mich jetzt ein bisschen wie ein Geschenk beim Schrottwichteln“, sagt der Landwirt.

Aber er stellt gleich klar: „Die Tiere spielen die erste Geige. Ich lebe mit und für sie. Wer mich sehen will, muss mit auf die Wiese oder in den Stall.“ Sechs Stunden Schlaf reichen ihm, Urlaub kennt er nicht. Aber er sei noch zu haben, preist er sich an.

Ich fall um und die machen meinen Hof. Da habe ich gelernt, danke zu sagen.

Im vergangenen Jahr bekam er einen Schlaganfall. Im Krankenhausflur lernte er wieder laufen. Um den Hof kümmerten sich Freunde und Bekannte. „Ich fall um und die machen meinen Hof. Da habe ich gelernt, danke zu sagen.“ Nach einer Woche hat er sich selbst entlassen, saß im Stall, konnte kaum sprechen, kommunizierte mit Daumen hoch und runter. Er hörte Lobpreis-CDs, sang mit, die Sprache wurde flüssiger. „Ich konnte manche Worte weder lesen noch verstehen“, erinnert sich Schmale.

Gläubiger Schäfer liest jeden Tag einen Psalm

Dann habe er sich die fünf Bücher Mose vorgenommen, danach konnte er wieder alles. Er liest jeden Tag einen Psalm. „Das ist meine Energiequelle und mein Ruhepol. Am schönsten ist es, wenn ich das sonntagsnachmittags an einem meiner Lieblingsplätze in der Natur mache“, verrät er. Natürlich mit Blick auf die Schafe.

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