Contra: Ich hasse das Leben auf Standby in der Neuen Normalität
Der Geruch eines neuen Buches, das Glücksgefühl einer neuen Liebe oder frisch gewaschen aus der Dusche steigen: In meiner Welt ist das, was neu ist, etwas Gutes. Nicht gut ist für mich: sich zuhause einigeln, drei Tage nicht duschen, weil Homeoffice und keine Konzerte, Freunde oder überhaupt etwas sehen.
Deswegen gehören die Worte Neue Normalität zu meinen Trigger-Worten. In mir zieht sich alles zusammen, wenn ich realisiere, dass das jetzt alles Alltag ist – kaum eine Freundin, die ich noch in Fleisch und Blut sehe, die Verschwörungsmythologen und jede Begegnung mit dem Gefühl „War das jetzt jemand zu viel?“ wegen der Angst vor Corona.
Werden wir dieses Trauma als Gesellschaft jemals verarbeiten können? Täglich horche ich bei den aktuellen Fallzahlen auf und bin in Alarmbereitschaft. Dieser ständige Zustand stresst mich. Das mag harmoniesüchtig klingen, aber dann ist das wohl so. Mir gefällt es halt besser, wenn ich dem Menschen hinter mir in der Supermarktschlange nicht sagen muss, dass er bitte mehr Abstand halten soll.
Mir fehlt sie, unsere „Alte Normalität“: Mir fehlen die Menschenmassen am Mainufer, ein Besuch im Kino oder die kulinarische Vielfalt in Frankfurt. Wehmütig schaue ich auf die fehlenden Verabredungen und denke mir: Weihnachten wird bestimmt der Horror!
Erstens: Kaum jemand freut sich so sehr auf den Weihnachtsmarkt, wie ich. Ich liebe es, dicht gedrängt zwischen Menschen zu stehen, zu frieren, bis die Füße abfallen und in meinen heißen Glühwein zu pusten.
Zweitens: Ich bin schon seit einigen Jahren dazu übergegangen weder Socken noch Bücher zu verschenken. Mein Geschenk der Wahl sind Events: Konzertkarten, Krimi-Dinner oder Escape-Room-Spiele. Ich verschenke gerne gemeinsame Zeit. Und nun? Schon das ganze Jahr über schicke ich Konzertkarten zurück. Ich bin frustriert.
Am liebsten würde ich mich zwischen die Regale im Supermarkt stellen, mit den Füßen aufstampfen und einen Schreikrampf kriegen. Natürlich weiß ich, dass das weder geht, noch hilft, also bin ich still. Eigentlich geht es mir gut: Die Zahlen in Deutschland sind vergleichsweise niedrig und ich wurde auch noch von niemandem angehustet. Ich trage brav meinen Mund-Nase-Schutz, die meiste Arbeit kann ich von Zuhause aus erledigen und auch Freunde und Familie treffe ich in Videokonferenzen. Ich kann nur hoffen, dass die Neue Normalität vorübergeht und wir uns schon bald wieder am Glühweinstand treffen können.