Wahlsynode

Welchen Kurs soll die EKHN künftig einschlagen?

3 Porträts nebeneinander: links Henriette Crüwell, in der Mitte Martin Mencke und rechts Christiane Tietz. Sie blicken lächelnd direkt in die Kamera und tragen alle ein dunkles Jackett.
EKHN & privat
Henriette Crüwell (von links), Martin Mencke und Christiane Tietz bewerben sich auf die Spitzenposition der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bekommt eine neue Leitung. Drei Kandidierenden hatten sich vor der Wahl unseren Fragen rund um die Zukunft der Kirche gestellt.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) steht vor einer wegweisenden Wahl: Am 28. September wird in Frankfurt der oder die neue Kirchenpräsident:in gewählt. Drei Kandidierende stellen sich dieser Wahl:

  • Henriette Crüwell, geboren 1971 in Offenbach, hat neben juristischen und theologischen Ausbildungen verschiedene kirchliche Positionen innegehabt, zuletzt als Pröpstin. Das bedeutet, dass sie innerhalb der Kirchenleitung für die Regionen Rheinhessen und Nassauer Land zuständig ist. 
  • Martin Mencke, Jahrgang 1966 aus Hofheim, verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Gemeindearbeit und kirchlichen Leitung und ist derzeit als Beauftragter der Evangelischen Kirchen in Hessen tätig.
  • Christiane Tietz, 1967 in Frankfurt geboren, bringt ihre langjährige Tätigkeit als Professorin für Systematische Theologie sowie ihre Erfahrungen in kirchlichen Leitungsfunktionen und der internationalen Zusammenarbeit ein.

Alle drei Kandidierenden haben ihre Wurzeln in der EKHN und sind tief in der kirchlichen Arbeit verankert. Im Interview mit indeon sprechen sie über ihre Vision für die LandeskircheDie Antworten im Interview folgen in alphabetischer Reihenfolge ihrer Nachnamen.

Führungsposition in der Kirche

Welche Werte sind Ihnen in der Führung der Evangelischen Kirche besonders wichtig?

Henriette Crüwell: Es sind zuerst und vor allem: Glaube, Liebe, Hoffnung. Diese drei! Oder anders gesagt: Zutrauen, Wohlwollen und das Aushalten von Widersprüchen.

Außerdem Demut und Humor, Gelassenheit und Unternehmergeist.

Martin Mencke: Gute Führung öffnet Ermöglichungsräume. Sie ist zugleich klar, kraftvoll begeisternd und – am besten – immer mit einer Portion Humor gewürzt, der um die Vorläufigkeit eigener Einsichten weiß. Sie hört, orientiert und integriert.

Evangelische Führung lässt die Vielfalt und Stärke verschiedener Begabungen zur Geltung kommen, weil sie sich von der Einsicht getragen weiß, dass Gott Menschen unterschiedlich begabt.

Ziele und die Wege dorthin sind gemeinsam zu entwickeln. Im Ergebnis sind sie dann so zustimmungsfähig wie irgend möglich.

Christiane Tietz: Mir ist es wichtig, empathisch zuzuhören sowie respektvoll und wertschätzend mit anderen umzugehen.

Ich möchte, dass wir unsere Kirche gemeinsam gestalten, und will zukunftsorientierte kirchliche Arbeit vor Ort stärken.

Selbstkritisch zu sein, die Komplexität der Herausforderungen wahrzunehmen, in denen wir stehen, sowie zu vermitteln, statt zu polarisieren, prägt meinen Führungsstil.

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Visionen als Kirchenpräsident:in

Welche konkreten Ziele wollen Sie in Ihrer Amtszeit erreichen? Was wollen Sie als erstes anpacken?

Henriette Crüwell: Als Kirchenpräsidentin will ich als Erstes klären, wozu wir Kirche sind und wohin wir wollen. Denn diese Orientierung brauchen wir in all den Umbrüchen dringend.

Ich will nicht, dass uns der Wandel „passiert“, ich will ihn gestalten. Dafür werde ich die Beteiligten auf allen Ebenen in die Verantwortung nehmen und mit ihnen zusammen fragen: „Wie machen wir’s gemeinsam möglich?“

Außerdem hat für mich die kritische Reflexion kirchliche Machtstrukturen Priorität, wie sie auch die ForuM-Studie zurecht anmahnt.

Martin Mencke: Dass die EKHN in der Situation der Minderheitenkirche fröhlich angekommen ist und die neuen Kleider, die sie im Begriff ist sich zu schneidern, dann auch gut passen.

Eine Start-Up-Kultur ist etabliert: Freude am Experimentieren überwiegt und Fehler werden nicht nur vermieden, sondern aus ihnen wird intensiv gelernt. Jede Gemeinde sollte mindestens ein diakonisches Projekt haben (oder sich daran beteiligen), das zur Mitarbeit einlädt, und die Glutpunkte des Evangeliums in ihrem Bereich bespielen.

Christiane Tietz: Ich will konstruktive Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen fördern und die Reformprozesse theologisch durchdenken.

Am Herzen liegen mir Formate, die Kinder und Jugendliche für den Glauben begeistern. Dazu brauchen wir die ältere Generation, die über ihren Glauben erzählt.

Zuerst besuche ich die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt, um zu besprechen, wie ich sie konkret unterstützen kann.

Ausrichtung der EKHN

Wie sollte sich die EKHN Ihrer Meinung nach zu aktuellen gesellschaftlichen Themen wie Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder Integration positionieren? Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Kirchenpräsident Volker Jung hat betont, dass die Wahl der AfD unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild sei. Die EKHN hat sich klar gegen Rechtsextremismus positioniert. Welchen Kurs werden Sie künftig verfolgen?

Portrait von Henriette Crüwell
EKHN

Henriette Crüwell: Die EKHN versteht sich als politische Kirche, die vom Evangelium ausgehend für soziale Gerechtigkeit und Frieden streitet. Dafür stehe auch ich.

Indem sie Menschen zusammenbringt und stärkt, als Christ:innen im Alltag Verantwortung zu übernehmen und die Welt zu gestalten, trägt Kirche zur Demokratie bei. Von dieser Grundlage aus gehen wir die Themen der Zeit an: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Integration und heute auch die für immer mehr Menschen zunehmende Einsamkeit.

Martin Mencke: Die gute Nachricht von der Liebe Gottes zu allen Menschen umgreift unser Leben ganz. Es gibt keinen Glauben, der nicht auch „politisch“ wäre. Weil aber auch wir Christ:innen unterschiedlich sind, ziehen wir unterschiedliche Schlüsse aus diesem Anspruch Gottes „auf unser ganzes Leben“ (Barmer Theologische Erklärung, These 2).

Die Kirche als ganze, ihre Leitung und so auch der/die Kirchenpräsident:in positioniert sich immer dann besonders stark und theologisch motiviert, wenn es um die Würde und Rechte der Schwachen geht, der Menschen wie der Natur, dort, wo keine Stimme laut wird.

Christiane Tietz: Die Position der EKHN und von Volker Jung gegen Rechtsextremismus und für eine offene, gerechte, vielfältige und demokratische Gesellschaft befürworte ich nachdrücklich.

Als Kirchenpräsidentin setze ich mich für soziale Gerechtigkeit und Integration, Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein. Für diese Anliegen könnten wir noch mehr auf Straßen und Plätzen präsent sein.

Kirche als gesellschaftlicher Player

Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen, um die Kirche gesellschaftlich relevanter zu machen?

Henriette Crüwell: Christenmenschen, die vor Ort gemeinsam leben, was sie glauben – da ist Kirche tagtäglich gesellschaftlich relevant.

Dieses Engagement gilt es sichtbar zu machen und zu vernetzen, in die Aus- und Fortbildung von Haupt- und Ehrenamtlichen zu investieren und für jene laut zu werden, die in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit keine Stimme haben.

Deswegen ist mir die Diakonie ein Herzensanliegen. Diakonie ist Kirche, die an den existentiellen Fragen der Menschen dranbleibt.

Portrait Martin Mencke
privat

Martin Mencke: Ich trete dafür ein, gemeindliche und diakonische Kirche besser zu vernetzen, die Suchbewegung danach zu intensivieren, wo die Resonanzräume für die Botschaft der Kirche heute sind und die Vielfalt und Buntheit evangelischen Lebens zu stärken.

Kirche ist dann relevant, wenn sie Menschen erreicht – mitten im Leben: wo sie Not lindert, zur Mitarbeit einlädt oder Menschen hören und spüren, dass Gott voraussetzungslos zu ihnen steht.

Christiane Tietz: Mir ist wichtig, dass die Kirche aus dem Zentrum ihres Glaubens heraus gesellschaftlich präsent ist. Ich möchte Projekte fördern, die die Demokratie stärken.

Wir engagieren uns in den Sozialräumen und vernetzen uns besser mit der diakonischen Arbeit und anderen gesellschaftlichen Akteuren vor Ort.

Und wir machen das, was wir tun, noch sichtbarer, damit Menschen merken: Dies alles ist Kirche!

Aufgaben von (Evangelischer) Kirche

Was bietet Kirche den Menschen?

Henriette Crüwell: Wir stehen deutschlandweit mit Millionen von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen an der Seite derer, für die Krise Alltag ist. Ich hoffe, dass Menschen in der Kirche erfahren, mit ihrer Lebensgeschichte anerkannt zu werden, dass sich Horizonte auf Gottes Zukunft hin öffnen, und niemand alleine leben und sterben muss. Ich glaube, dass wir dafür alles haben, was wir brauchen: Gottes Wort, Geistkraft, Segen.

Martin Mencke: Die Kirche bietet Menschen einen Erfahrungs- und Erlebensraum, in dem das eigene Leben und die großen Fragen nach Sinn, Glück und Verantwortung einer Beantwortung näher kommen können. Das geschieht in der aktiven Zuwendung zur Welt, dort, wo Not und Leid gemindert werden und wo sich Menschen um Gottes Wort versammeln, sie Trost und Zuspruch und Gemeinschaft erfahren können. So trägt Kirche zur Beheimatung in der Welt bei.

Portrait von Christiane Tietz
EKHN

Christiane Tietz: Kirche bietet Zeiten, in denen Menschen nach Gott suchen und Gott begegnen können.

Kirche bietet Orte, an denen Menschen einander begegnen können.

Kirche bietet Gelegenheiten, bei denen Menschen sich über wichtige Lebensthemen austauschen können.

Kirche bietet Hilfe in schwierigen Lebenssituationen.

Kirche bietet Möglichkeiten, sich selbst in der Kirche zu engagieren und Kirche zu gestalten.

Theologische Grundmotivation

Was ist ihr (biblisches) Leitmotiv und warum?

Henriette Crüwell: „Tröstet, tröstet mein Volk!“ Jesaja 40,1 ist in meinen Talar eingestickt. Er hat mich immer wieder den Weg in der Wüste sehen und in Krisen nach Gott und seiner Zukunft Ausschau halten lassen.

Seit ich als Pröpstin in der Kirchenleitung bin, ist mir auch noch ein zweiter Vers wichtig geworden. Er steht im 2. Korintherbrief. Er bringt für mich auf den Punkt, was Kirche heute in die Gesellschaft eintragen kann: „In Ängsten, (…) aber siehe wir leben!“

Martin Mencke: „Fahre hinaus, wo es tief ist …“. Die Aufforderung Jesu an Petrus packt mich - und packt mich für meine Kirche: noch einmal auf den See Genezareth hinauszufahren, dorthin, wo es tief ist, also nicht gemütlich, sondern riskant und nicht nur geborgen.

Dort liegen Aufgabe und Verheißung zugleich, der ich mich als Kirchenpräsident mit meiner Kirche stellen möchte, einer kleiner werdenden Kirche, die wie die Fischer am See in unserer Gegenwart oft müde und erschöpft ist. Aber dort überrascht Gott mit reichem Fang. Denn seine Verheißung gilt der EKHN auch heute.

Christiane Tietz: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen.“ (Psalm 27,1) Das ist mein Konfirmationsspruch. Er hat mich in vielen beruflichen und privaten Situationen getragen und mir den Mut gegeben, herausfordernde Aufgaben anzupacken.