Sinnfluencer Jörg Niesner

Insta-Pfarrer: Kirche muss Ansprechpartner Nummer 1 für Sinnfragen sein

"Auf Instagram komme ich besser ins Gespräch mit den Menschen!" - Jörg Niesner im Interview
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Er isst beruflich Kuchen und hat inzwischen mehr als 6.000 Follower auf Instagram. Sinnfluencer Jörg Niesner aus Laubach. Seit drei Jahren nimmt der 36-Jährige seine Fans mit durch seinen Pfarrer-Alltag. Hochzeiten, Beerdigungen, Kafffeekränzchen, Tochterbespaßung – alles dabei. Dahinter steckt aber mehr als der Spaß am Digitalen.

Natürlich geht Jörg nach nur einmal Klingeln ans Handy. Sein Smartphone ist Hauptbestandteil seines Jobs. Jörg ist Pfarrer. Noch ganz analog in Laubach. Und auf Instagram unter dem Namen wasistdermensch. Wir sind nicht die einzigen, die sich für sein Leben zwischen Kanzel und News-Feed interessieren. Die Woche hatte er gleich drei Medien-Anfragen. Aber wir waren die ersten, wie der Papa einer kleinen Tochter lobend erwähnt. 😉

Lange ist Jörg hier noch nicht Pfarrer, wie er bei der kleinen Führung ins Gemeindehaus erzählt. Im Januar hat er die Stelle angetreten. Tausend Termine im Kalender gehabt und schon gedacht: Oh Gott. Wie soll ich das schaffen? Dann kam Corona. Damit hatten sich diese Zweifel eh erledigt.

Wir haben von null auf hundert digitale Arbeit in der Gemeinde hochgefahren

wasistdermensch

Plötzlich online

Also mussten Alternativen zum klassischen Sonntags-Gottesdienst her, der ja ohnehin für viele nicht mehr besonders sexy ist. „Wir haben von null auf hundert digitale Arbeit in der Gemeinde hochgefahren,“ blickt Jörg stolz zurück. Ganz spontan hatten seine Kollegen und er den damaligen Sonntagsgottesdienst gestreamt. Der hatte dann mehr als 2.000 Zuschauer. So viele, wie sonst nie in den normalen Gottesdienst kommen, wie Digital Native Jörg zugibt.

Es ging noch weiter: In Anlehnung an den Aufruf der EKD, trommelte Jörg alle musikbegeisterten Laubacher zusammen, um mit ihm jeden Abend auf dem Kirchenvorplatz zu singen. Bis heute (!) stehen also jeden Abend bis zu 30 Leute vor der Kirche und machen zusammen Musik. „Das ist ne tolle Stimmung“, schwärmt Jörg.

Das wöchentliche Markt-Gebet "Frische Zeit" hat sich dagegen nicht durgesetzt. „Das war ein Rohrkrepierer“, sagt Jörg, zuckt mit den Achseln und lacht. Egal! Hauptsache ausprobieren, wenn‘s nicht klappt, dann ist das halt so. Dann kommt eben bald was Neues.

Gemeinde steht hinter Jörg – analog und digital

Der Gemeinde gefällt’s. Feedback bekommt er vor allem via Instagram und Co oder ganz analog auf der Straße oder im Supermarkt. „Das sind Leute, die würden niemals ins Pfarramt kommen und sagen: Ich will mal mit dem Pfarrer sprechen“, ist Jörg überzeugt. Gerade im Netz sei die Hemmschwelle nicht so groß.

Das ist schön, öffnet aber auch Türen und Tore für die Hater. 🤬 Klar habe Jörn schon Hatespeech erlebt, sagt er gelassen. Das sei aber nur ein ganz kleiner Teil. Und wie wir es von den üblichen Verdächtigen kennen, haben die besonders zu Themen wie Homosexualität „gaaanz viel zu MECKERN!!!!11!“ Wir wollen mehr wissen, wer denn da so ausflippt. Mit den Worten „Das fällt ins Beichtgeheimnis“, gibt Jörg uns einen Korb. Okay, gewonnen.

Jörg Niesner liebt das Digitale, steht aber auch nach wie vor gerne auf der Kanzel - ganz analog. Seine Predigten hält er inzwischen völlig frei.
Jörn von Lutzau

SINNFLUENCER DER EVANGELISCHEN KIRCHE

Jörg ist Teil des Netzwerks yeet. Das ist so etwas wie Funk für die öffentlich-rechtlichen Kanäle, nur eben mit gläubigen Influencer*innen aus der Evangelischen Kirche.

Alle Sinnfluencer im Überblick auf der Homepage von Yeet

 

Story über Beerdigung lief super

Instagram ist ja eher bekannt als oberflächliche Schein-Welt: Schöne Frauen, Traumstrände und die perfekte Acaí-Bowl. Ist da überhaupt Platz für Gott und Glaube? Unbedingt, meint Jörg.

Ein Beispiel: Vor einiger Zeit haute er eine Story über Beerdigungen raus. Ein Erfolg. Viele Menschen kommentierten die Videos, schickten im Nachrichten. „Ich glaube, dass Menschen mehr als je zuvor die Sinnfrage stellen“, sagt Jörg, schiebt aber sofort hinterher: „Das Problem ist nur, sie stellen sie nicht mehr uns als Kirche.“ 

Kirche muss sich ständig verändern

Apropos Veränderung: Der Reformationstag steht an. Du weißt schon: Das mit Luther und den Thesen und so. Muss sich Kirche noch weiter reformieren, fragen wir Jörg.

Kirche hat das Potenzial, wieder was ganz Großes zu sein, meint Jörg. Nur muss sie die Menschen heute auch erreichen: „Ich glaube, dass Kirche sehr genau hinhören muss, wie Menschen kommunizieren, welche Fragen sie stellen.“ Und dann muss Kirche kompetent auftreten. Damit Menschen sich mit ihren Sinn- und Glaubensfragen an sie wenden. 

Klingt nach Floskel, aber Kirche soll eben dort hingehen, wo die Menschen heute sind. Und das sind nun mal die sozialen Netzwerke. „Das ganze Leben findet online statt“, fasst es Jörg zusammen.

Kaum haben wir uns von Jörg verabschiedet, nimmt ihn schon eine junge Frau in Beschlag. Er ist eben da, wo die Menschen sind - digital sowieso, aber auch auf dem Marktplatz in Laubach. Noch so richtig live und in Farbe. 

Immer dabei: Jörg Niesner und sein Smartphone. Mehr als 6.000 Follower hat er auf seinem Instagram-Profil.
Jörn von Lutzau
Immer dabei: Jörg Niesner und sein Smartphone. Mehr als 6.000 Follower hat er auf seinem Instagram-Profil.