Diskussion „Zweifeln erlaubt“

Wie hängen Kirchensteuer und Kirchenaustritt zusammen?

Euros für die Kirche
gettyimages/AndreyPopov

Junge Menschen verlassen besonders oft die Kirche. Meist dann, wenn sie ins Berufsleben eintreten. Wäre eine ermäßigte Kirchensteuer eine Lösung?

Wenn jemand etwas nicht haben will, dann will er es in der Regel auch dann immer noch nicht haben, wenn es billiger ist. „Junge Menschen erkennen die Relevanz der Kirchen nicht“, sagt Erik Flügge. Für die Frage von Relevanz ergebe ein Rabatt bei der Kirchensteuer keinen Sinn. „Sie treten dann trotzdem aus.“

Kirchensteuer ist entscheidender Anstoß zum Austritt

Der Politikberater, Buchautor, Kirchenkritiker und Katholik Flügge ist aus seiner Kölner Heimat der Diskussionsrunde „Zweifeln erlaubt“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt zugeschaltet. „Kirchensteuer abschaffen? Beibehalten? Ändern?“ heißt das Thema diesmal. Veranstalter sind die Akademie, Evangelische Sonntags-Zeitung und deren Online-Portal indeon.de

Im Jahr 2060 soll es im Vergleich zu heute nur noch halb so viele Kirchenmitglieder geben. So sagt es eine Studie aus Freiburg voraus, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegeben hat. Vor allem Menschen zwischen 20 und 35 Jahren kehren den Kirchen den Rücken.

Grund Nummer eins: Wenn sie ins Berufsleben starten und auf ihrem ersten Lohnzettel sehen, wie viel Kirchensteuer sie bezahlen, ist das der entscheidende Anstoß zum Austritt. Seit Erscheinen der Studie überlegen Kirchenleute verstärkt, wie die Flucht der Jüngeren aufzuhalten wäre. Ein „Zukunftsteam“ („Z-Team“) der EKD hat elf „Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“ verfasst. Inoffizielle Quellen aus der Kirche sprechen davon, dass in den kommenden Tagen ein zwölfter hinzukommen soll.

Podium Zweifeln erlaubt
Nils Sandrisser
Torben Telder (von links), Susanne Teichmanis, Erik Flügge (per Bildschirm) und Moderatorin Andrea Seeger sprechen über die Zukunft der Kirchensteuer.

Rabatt gibt es schon - für Reiche

Eine ermäßigte Kirchensteuer für junge Leute ist einer der Vorschläge. Und das wäre ja auch nur gerecht, gibt Susanne Teichmanis zu bedenken. Die Juristin und Oberkirchenrätin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg und Mitglied im „Z-Team“ sagt, dass man doch schon heute einen Rabatt auf die Kirchensteuer bekommen könne – nämlich wenn man reich sei und Einkünfte außer der Reihe habe, zum Beispiel aus dem Verkauf eines Unternehmens. „Was hindert uns, das bei – vornehmlich jungen – Menschen mit geringen Einkommen auch zu tun?“, fragt Teichmanis.

Sie präsentiert weitere Vorschläge. Zum Beispiel könnten Kirchenmitglieder selbst entscheiden, was mit ihrer Kirchensteuer geschehe: „Vielleicht könnte man Teile davon einem bestimmten Zweck widmen.“ Eine „church card“ wäre eine weitere Idee – eine Mitgliedskarte, die mit Vorteilen verbunden sein könnte.

Nicht mit einem garantierten Platz in der Kita für den Nachwuchs, schränkt sie gleich ein. Denn in diesem Fall würde der Staat, der den Löwenanteil für die Kinderbetreuung zahlt, den Kirchen gehörig aufs Dach steigen. Aber für kulturelle Angebote, etwa für Konzerte, könnten dann billigere Eintrittspreise drin sein. Vor allem aber müsse Kirche davon wegkommen, nur Angebote zu machen. Sie könne junge Leute doch auch fragen, was sie in Gemeindearbeit einbringen könnten, um im Gegenzug ihre Steuer zu reduzieren.

In der Kirche bleiben und dafür Rasen mähen dürfen?

Torben Telder überzeugt das nicht recht. Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand in der Kirche bleibe, wenn er dafür bei ihm den Rasen mähen dürfe, sagt der Pfarrer der Wallonisch-Niederländischen Kirche Hanau. Seine Kirche verzichte auf einen Einzug der Kirchensteuer über das Finanzamt, sondern bitte die Steuerpflichtigen der rund 1.100 Mitglieder um einen Kirchenbeitrag in Höhe von acht Prozent der Lohn- oder Einkommenssteuer.

Seine Buchhaltung prüfe aber nicht nach, ob sich jemand auf dem Papier ärmer mache, als er sei. Er spreche solche Kandidaten dann freundlich an und frage sie, ob sie nicht für ein konkretes Projekt etwas spenden wollten. Und jene, die auf den jährlichen Brief gar nicht antworteten, erhielten „eine freundliche Erinnerung, dass sie da ja noch was zahlen wollten“, sagt er.

Aber der Idee einer reduzierten Kirchensteuer zeigt Telder sich nicht abgeneigt: „Unternehmen geben ja auch Rabatt auf Produkte, um sie bekannter zu machen.“ Dies müsse aber mit verstärkter Mission verbunden sein. „Durch die Kirchensteuer gibt es doch oft die Situation, dass die Menschen darüber hinaus nichts spenden“, sagt er, „weil sie sagen, sie hätten ja schon bezahlt.“

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Kirchensteuer! Abschaffen? Beibehalten? Ändern?

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„Religiöse Ersterfahrungen“ ermöglichen

Andrea Seeger, die gemeinsam mit Akademie-Direktor Thorsten Latzel die Runde moderiert, fragt Flügge, was eigentlich dessen Freunde dazu sagen würden, dass er Kirchensteuer bezahle. „Die halten mich für bescheuert“, antwortet der 34-Jährige. Diskussionen darüber gewinne er aber oft, indem er eine Rückfrage stelle: „Wer wäre denn sonst da, um all die Leute zu beerdigen?“ Keine staatliche Stelle kümmere sich so um Trauer, Tod oder Krisen. „Eine Abschaffung der Kirchensteuer für alle würde keine finanzielle Entlastung bringen“, sagt er, „weil man dann dafür ja eine andere Infrastruktur aufbauen müsste.“

Kirche ist in Flügges Augen also durchaus relevant. Das Problem ist nur, dass viele andere das eben nicht so sehen. Er plädiert dafür, Kindern und Jugendlichen „religiöse Ersterfahrungen“ zu ermöglichen, ähnlich wie bei der ökumenischen Bruderschaft von Taizé in Frankreich, wo jedes Jahr Tausende junger Menschen zusammenkommen und beten.

Außerdem sollten die Kirchen jedes Mitglied, ehe es steuerpflichtig werde, kontaktieren und ihm mitteilen, an welchen Stellen der Gesellschaft sie mit ihrem Geld segensreich wirkten – wie in Kindertagesstätten, Gesundheit, Pflege und Trauerbegleitung. So mache die Kirche ihre Relevanz deutlich „und der Erstkontakt ist keine Zahlungsaufforderung“, sagt Flügge.

Fragen aus dem Publikum

Aus dem Publikum kommt die Frage an Torben Telder, wie er im mehr oder weniger freiwilligen Bezahlmodell seiner Kirche vermeiden wolle, dass Menschen nach ihrem Beitrag und damit nach ihrem Gehalt bewertet würden. „Die Gemeindemitglieder laufen bei uns doch nicht mit einem Preisschild rum“, antwortet er. „Wir kennen natürlich unsere Herzchen, die in der Vergangenheit viel gespendet haben und sind ihnen besonders dankbar.“ Das halte er aber nicht für verwerflich.

Ungetaufte könnten doch Fördermitglieder in Kirchengemeinden sein, lautet ein Vorschlag aus dem Publikum. Flügge sieht darin wenig Potenzial: „Wir haben ein Problem damit, unseren Mitgliedern unsere Relevanz klarzumachen. Da ist es doch unrealistisch, dass Nichtmitglieder uns die Bude einrennen.“ Teichmanis hingegen wirft ein, dass es darauf ankomme, wo das sei: Im Osten Deutschlands sei es normal, dass Ungetaufte in Gemeinden mitarbeiten.

Der Pfarrstellenabbau treibt ebenfalls viele Zuschauerinnen und Zuschauer um. Ob das denn nicht der Schuss ins eigene Knie sei, wollen sie wissen, wo der Kontakt vor Ort zu den Mitgliedern doch so wichtig sei. Teichmanis argumentiert mit dem Nachwuchsmangel. Nicht einmal die nach Sparrunden übrig gebliebenen Pfarrstellen könne die Kirche noch besetzen.

Danke sagen ist keine schlechte Idee

„Ich habe noch nie einen Brief bekommen, in dem steht, was ich mit meiner Kirchensteuer alles bewirke“, sagt Flügge. Jedes Jahr den Kirchenmitgliedern mal Danke zu sagen für ihre finanziellen Beiträge, ist ja nicht unbedingt die schlechteste Idee.