Analyse

Worum geht es beim Berg-Karabach-Konflikt?

Armee Aserbaidschans
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Die Republik Berg-Karabach soll aufgelöst werden. Der Konflikt ist ziemlich kompliziert. Worum geht es überhaupt?

Update: Berg-Karabach soll aufgelöst werden

Die Behörden in Berg-Karabach haben das Ende ihrer nicht anerkannten Republik beschlossen. Sie kündigten an, zum 1. Januar 2024 alle staatlcihen Institutionen und Organisationen aufzulösen. Der separatistische Präsident, Samwel Schachramanjan, hat ein entsprechendes Dekret unterzeichnet

Vorausgegangen war dieser Entscheidung eine Blitzoffenisve von Aserbaidschan. Das Land hatte die vollständige Kontrolle in der Region übernommen, die pro-armensichen Kämpfer waren unterlegen. Mehr als die Hälfte der in Berg-Karabach lebenden Armenier waren geflohen.

Offensive von Aserbaidschan: Tote und Verletzte in Berg-Karabach

Nach örtlichen Angaben hatte Aserbaidschan eine Offensive gegen Berg-Karabach in der Nacht zum 20. September  gestartet. Berg-Karabach meldet 27 Tote, darunter zwei Zivilisten, und viele Verletzte. Aserbaidschan möchte mit dem Großangriff die Autonomie der von Armeniern bewohnten Region beenden und die vollständige Kontrolle über das Gebiet erreichen. 

Der Angriff war der Gipfel monatelanger Eskalation. Kurz vor dem Angriff waren laut aserbaidschanischen Angaben zwei Mitarbeiter der Straßenverwaltung auf eine Mine gefahren und dabei getötet worden. Dafaufhin seinen Ziele im Hinterland, an der Front und weitere militärische Einrichtungen beschossen worden.

Vor drei Jahren endete der letzte Krieg um Berg-Karabach mit einem Gebietsgewinn Aserbaidschans und einem Waffenstillstand, der von Russland überwacht werden sollte.

Ist das ein religiöser Konflikt?

Nein. Zwar sind Armenier überwiegend Christen und Aserbaidschaner überwiegend schiitische Muslime. Beim Berg-Karabach-Konflikt handelt es sich aber um einen Territorialstreit. Es geht darum, wem Berg-Karabach gehört.

Und wem gehört Berg-Karabach?

Völkerrechtlich eindeutig Aserbaidschan. Niemand zweifelt das an. Außer natürlich die Republik Arzach – also Berg-Karabach mit den besetzten, umliegenden aserbaidschanischen Provinzen –, die sich schon mit dem Ende der Sowjetunion für unabhängig erklärt hat. Aber selbst Armenien hat die Republik Arzach nie offiziell anerkannt.

Warum haben beide Seiten denn dann Krieg darum geführt?

Armenien beruft sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dem steht allerdings das Recht Aserbaidschans auf territoriale Unversehrtheit entgegen. Beide Seiten erheben aus historischen Gründen Anspruch auf das Gebiet. „Für die eine Seite gilt das mit dem armenischen Namen 'Arzach' bezeichnete Gebiet als 'urarmenisch', die andere Seite betrachtet das alte kaukasische Staatsgebilde namens 'Albanien', das nichts mit dem heutigen Albanien im Westbalkan zu tun hat, als historischen Vorläufer des heutigen Aserbaidschan“, erklärt der Berliner Historiker Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „In diesem Gezerre um historische 'Argumente' bleibt ein Grundzug kaukasischer Geschichte auf der Strecke: ihr polyethnischer Charakter.“ Denn Berg-Karabach ist überwiegend zwar armenisch besiedelt, hatte allerdings stets eine große aserbaidschanische Minderheit - bis 1994.

In diesem Jahr endete ein Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan mit einem armenischen Sieg. Die Armenier gewannen nicht nur die Kontrolle über Berg-Karabach, sondern auch über sieben umliegende aserbaidschanische Provinzen und vertrieben nach Zahlen der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR rund 700.000 Aserbaidschaner. Umgekehrt flohen etwa 300.000 Armenier aus Aserbaidschan.  Seither war der Konflikt weitgehend eingefroren.

 

Hinweis

Die OSZE ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Warum bleibt der Konflikt schon so lange ungelöst?

Weil niemand eine Lösung wollte. Die OSZE hat zwar zwischen den Konfliktparteien vermittelt. Seit 2007 gibt es die „Madrider Prinzipien“, die sechs Schritte vorsehen:

  1. Rückzug Armeniens aus den besetzten sieben aserbaidschanischen Provinzen
  2. Selbstbestimmung Berg-Karabachs als Zwischenlösung
  3. Einrichtung eines Korridors zwischen Armenien und Berg-Karabach
  4. Volksabstimmung über den künftigen Status Berg-Karabachs
  5. Rückkehr aller Flüchtlinge
  6. Internationale Überwachung der Sicherheit

Armenien lehnte es jedoch stets ab, sich aus seinen Eroberungen zurückzuziehen und wollte die aserbaidschanischen Flüchtlinge nicht zurückkehren lassen. Es verließ sich dabei auf das Recht des Stärkeren - übersah aus heutiger Sicht aber dabei, dass es auch einmal der Schwächere sein könnte.

Aserbaidschan hingegen wollte nie über den Status Berg-Karabachs abstimmen lassen. Denn Berg-Karabach war vor dem Krieg überwiegend und danach fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Wie so eine Abstimmung ausgegangen wäre, war vorhersehbar. Und der in Aserbaidschan autoritär regierende Alijew-Clan hat es ohnehin nicht so mit Wahlen.

Wie geht es jetzt weiter?

Im Waffenstillstandsabkommen ist der künftige Status Berg-Karabachs nicht geregelt. Das Beste, was die Armenier nun noch herausholen könnten, wäre eine innere Autonomie Berg-Karabachs unter aserbaidschanischer Hoheit. Auf mehr hatten sie allerdings völkerrechtlich nie Anspruch.

Angesichts der langen Geschichte von gegenseitig verübten Scheußlichkeiten besteht die Gefahr, dass die aserbaidschanischen Sieger den armenischen Zivilisten Gewalt antun. Während des Kriegs berichtete das Recherchenetzwerk Bellingcat von Kriegsverbrechen der aserbaidschanischen Armee, zum Beispiel von Hinrichtungen gefangener armenischer Soldaten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentierte Fälle von Folterungen kriegsgefangener Armenier. Flächendeckende und systematische Verfolgung von armenischen Zivilisten scheint es bislang allerdings nicht zu geben.

Armenien könnte politisch instabil werden. Premierminister Nikol Paschinjan, der vor zwei Jahren als eine Art Volksheld gewählt wurde, weil er Armenien umfassend demokratisieren wollte, hat sich mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands bei seinen Landsleuten extrem unbeliebt gemacht. Es gab bereits einen Anschlag auf ihn.

Welche Rolle spielen die umliegenden Großmächte?

Die Türkei hat in diesem Krieg Aserbaidschan massiv unterstützt, mit Waffen und wahrscheinlich auch mit Söldnern. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht sich gern in der Rolle einer regionalen Großmacht. Den Ausgang des Kriegs darf er als Erfolg verbuchen.

Allerdings hat Russlands Wladimir Putin dem türkischen Präsidenten klar die Grenzen aufgezeigt. Denn der Waffenstillstand wird von russischen Truppen abgesichert. Damit demonstriert Putin: Im Kaukasus läuft nach wie vor nichts ohne Moskaus Willen.

Armenien beklagt sich darüber, der Westen habe es allein gelassen. Bei genauerer Betrachtung hat der Westen allerdings kaum Handlungsmöglichkeiten gehabt. Denn die Besatzung aserbaidschanischen Territoriums durch Armenien war nicht durch das Völkerrecht gedeckt. Es gab drei UN-Resolutionen, die Armenien aufforderten, das besetzte Gebiet zu räumen. Hätten die EU oder die USA Armenien unterstützt, dann hätten sie dabei geholfen, ein Territorium gegen einen Nachbarn zu verteidigen, das hochoffiziell jenem Nachbarn gehört. Da sich der Westen stets gerne das Völkerrecht auf die Fahnen schreibt, wäre er in eine gewisse Erklärungsnot gekommen.