US-Präsident Donald Trump mit einer Bibel in der Hand, als Foto aufgenommen vor der Washingtoner St. John’s Kirche gegenüber des Weißen Hauses. Das Bild ging im Juni dieses Jahres um die Welt und löste Kritik aus. Denn Sicherheitskräfte hatten zuvor friedliche Demonstranten mit Gummigeschossen und Tränengas vertrieben, damit der Präsident die Straße überqueren konnte. Offenbar wollte Trump mit dieser umstrittenen Geste seine evangelikalen Wähler mobilisieren.
Trump ist ein notorischer Lügner und Ehebrecher
Trump ist Presbyterianer, damit gehört er dem größten Zweig der reformierten Kirchen in den USA an. Er selbst bezeichnet sich mal als Protestant, mal als Anhänger einer »wunderbaren Religion«. Als besonders christlich hat er sich bisher nicht hervorgetan. Er ist ein notorischer Lügner und Ehebrecher. Bei einer Rede vor Studenten vermochte er es nicht, »2. Korinther« korrekt auszusprechen. Die Bedeutung der biblischen Aussage »Auge um Auge, Zahn um Zahn« verkehrte er in einem Interview in ihr Gegenteil. Und zu Beginn seines Wahlkampfes 2015 gab er an, Gott noch nie um Vergebung gebeten zu haben. Und doch ist Donald Trump bei weißen, evangelikalen Christen in den USA so beliebt wie kein anderer Präsident vor ihm – einschließlich Ronald Reagan und George W. Bush.
Warum das so ist? Damit befasst sich der Religionssoziologe Philip Gorski in seinem lesenswerten Buch »Am Scheideweg«. Ihm geht es dabei nicht um den Präsidenten allein. Vielmehr weitet der Soziologieprofessor der Yale-University in New Haven im Bundesstaat Connecticut den Blick auf das Verhältnis zwischen Demokratie und Christentum in den USA insgesamt, die dort viel enger verwoben sind als in Europa.
Name der Kirchen geht auf Pendlerlinie zurück
Mit Bezug auf den französischen Politikwissenschaftler Alexis de Tocqueville (1805 bis 1859) beschreibt Gorski die Kirchen in den USA als »Schulen der Demokratie«. In dieser Tradition sieht er auch die Mainline-Churches. Deren Name geht auf eine Pendlerlinie zurück, die die Vororte von Philadelphia mit dem Stadtzentrum verbindet. Sie stehen für demokratische Mitbestimmung, etwa indem die Gemeinden ihre Pfarrer selbst wählen. Die Mainline-Churches vertreten eine eher moderate Theologie. Evangelikale Kritiker werfen ihnen häufig theologischen Liberalismus vor.
Anders sieht es bei den Mega-Churches aus. Dabei handelt es sich um große Gemeinden, in denen mehr als 2.000 Menschen den Gottesdienst besuchen und die in einer evangelikalen Tradition stehen. Sie verzeichnen seit den 1970er Jahren einen stetigen Zuwachs.
Mega-Churches in evangelikaler Tradition
Gorski erklärt das mit geburtenstarken Jahrgängen bei den Evangelikalen. Dieser Nachwuchs bleibe der Kirche treu. Die Mitglieder der Mainline-Churches wendeten sich hingegen von ihren Kirchen vermehrt ab, und das bereits seit den 1960er Jahren. Und darin sieht Gorski eine politische Verschiebung: Die Mega-Churches legen kaum Wert auf demokratische Mitbestimmung. Sie seien auf einen charismatischen Gründer, einen Pastor ausgerichtet, der bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort behalte. Die Mega-Churches seien damit eher mit einem großen Unternehmen vergleichbar als mit einer kleinen Republik.