WAHLEN IN DEN USA

Die Evangelikalen sehen in Trump einen Beschützer

Evangelikale in den USA
iStock / Getty Images Plus
Gottesdienst in einer Mega-Church bei Houston/Texas. Diese Kirchen sind meist auf einen charismatischen Gründer ausgerichtet, Mitbestimmung gibt es hier eher nicht.

Bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 stimmten 80 Prozent der weißen evangelikalen Christen in den USA für Donald Trump. Sie verhalfen ihm damit zum Wahlsieg. Der Soziologe Philip Gorski legt in seinem neuen Buch dar, warum sie ihn wählten und wie das die Demokratie gefährdet. Dabei ist auch Rassismus ein Problem.

USA-Fahne
gettyimages
Die Welt blickt gespannt auf die USA. Wen wählen die Menschen zum nächsten Präsidenten?

US-Präsident Donald Trump mit einer Bibel in der Hand, als Foto aufgenommen vor der Washingtoner St. John’s Kirche gegenüber des Weißen Hauses. Das Bild ging im Juni dieses Jahres um die Welt und löste Kritik aus. Denn Sicherheitskräfte hatten zuvor friedliche Demonstranten mit Gummigeschossen und Tränengas vertrieben, damit der Präsident die Straße überqueren konnte. Offenbar wollte Trump mit dieser umstrittenen Geste seine evangelikalen Wähler mobilisieren.

Trump ist ein notorischer Lügner und Ehebrecher

Trump ist Presbyterianer, damit gehört er dem größten Zweig der reformierten Kirchen in den USA an. Er selbst bezeichnet sich mal als Protestant, mal als Anhänger einer »wunderbaren Religion«. Als besonders christlich hat er sich bisher nicht hervorgetan. Er ist ein notorischer Lügner und Ehebrecher. Bei einer Rede vor Studenten vermochte er es nicht, »2. Korinther« korrekt auszusprechen. Die Bedeutung der biblischen Aussage »Auge um Auge, Zahn um Zahn« verkehrte er in einem Interview in ihr Gegenteil. Und zu Beginn seines Wahlkampfes 2015 gab er an, Gott noch nie um Vergebung gebeten zu haben. Und doch ist Donald Trump bei weißen, evangelikalen Christen in den USA so beliebt wie kein anderer Präsident vor ihm – einschließlich Ronald Reagan und George W. Bush.

Warum das so ist? Damit befasst sich der Religionssoziologe Philip Gorski in seinem lesenswerten Buch »Am Scheideweg«. Ihm geht es dabei nicht um den Präsidenten allein. Vielmehr weitet der Soziologieprofessor der Yale-University in New Haven im Bundesstaat Connecticut den Blick auf das Verhältnis zwischen Demokratie und Christentum in den USA insgesamt, die dort viel enger verwoben sind als in Europa.

Name der Kirchen geht auf Pendlerlinie zurück

Mit Bezug auf den französischen Politikwissenschaftler Alexis de Tocqueville (1805 bis 1859) beschreibt Gorski die Kirchen in den USA als »Schulen der Demokratie«. In dieser Tradition sieht er auch die Mainline-Churches. Deren Name geht auf eine Pendlerlinie zurück, die die Vororte von Philadelphia mit dem Stadtzentrum verbindet. Sie stehen für demokratische Mitbestimmung, etwa indem die Gemeinden ihre Pfarrer selbst wählen. Die Mainline-Churches vertreten eine eher moderate Theologie. Evangelikale Kritiker werfen ihnen häufig theologischen Liberalismus vor.

Anders sieht es bei den Mega-Churches aus. Dabei handelt es sich um große Gemeinden, in denen mehr als 2.000 Menschen den Gottesdienst besuchen und die in einer evangelikalen Tradition stehen. Sie verzeichnen seit den 1970er Jahren einen stetigen Zuwachs.

Mega-Churches in evangelikaler Tradition

Gorski erklärt das mit geburtenstarken Jahrgängen bei den Evangelikalen. Dieser Nachwuchs bleibe der Kirche treu. Die Mitglieder der Mainline-Churches wendeten sich hingegen von ihren Kirchen vermehrt ab, und das bereits seit den 1960er Jahren. Und darin sieht Gorski eine politische Verschiebung: Die Mega-Churches legen kaum Wert auf demokratische Mitbestimmung. Sie seien auf einen charismatischen Gründer, einen Pastor ausgerichtet, der bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort behalte. Die Mega-Churches seien damit eher mit einem großen Unternehmen vergleichbar als mit einer kleinen Republik.

Ob religiöse Konservative wirklich noch als politische Konservative zu bezeichnen sind oder schon eher als Rechtsradikale, ist im Moment allerdings nicht so klar.

Philip Gorski

Rund 17 Prozent der etwa 330 Millionen US-Amerikaner sind Evangelikale. Gorski legt den Fokus seiner Untersuchung bewusst auf jene Evangelikale mit weißer Hautfarbe, denn die Unterstützung für Trump ist unter ihnen besonders groß. Als Grund dafür nennt Gorski eine Art empfundener Bedrohung. »Sie sind der Überzeugung, dass sie "den Kulturkampf verloren haben", dass die amerikanische Linke ihr Todfeind ist und dass sie als Christen heute "die am meisten verfolgte Gruppe in Amerika2 sind."

Die USA als "weiße, christliche Nation"

Aus dieser Wahrnehmung würden sie dann einem kompromisslosen "Beschützer" folgen, der der Linken laut und kräftig entgegentritt. Diese Verlust- und Bedrohungsgefühle haben nach Gorski ihre Wurzeln in einem Geschichtsnarrativ, das die USA als "weiße, christliche Nation" darstellt. Dieser Erzählung nach haben weiße Pilger und Gründer Amerika als christliche Nation gegründet, deshalb hat Gott Amerika so lange großzügig gesegnet und beschützt.

Wahlen in den USA
Getty Images
Warten auf der Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA.

Nun aber würde sich Amerika von diesem christlichen Erbe lösen und nicht mehr Gottes Gesetzen gehorchen. Evangelikale machen das etwa an Fragen der Abtreibung und der gleichgeschlechtlichen Ehe fest. Der Verlust von wirtschaftlicher und politischer Macht bewiese, dass Gott Amerika nicht mehr beschützt. Die einzige Möglichkeit das zu ändern, "Amerika wieder groß zu machen", sei die "Rückeroberung des Landes" durch Christen oder zumindest der Widerstand gegen ihre Feinde: Säkulare, Liberale und Humanisten.

Gott habe Trump geschickt

Diesen weißen, christlichen Nationalismus, wie Gorski ihn nennt, bedient Trump hervorragend. So wollen einige Evangelikale in ihm gar eine moderne Reinkarnation Kyros des Großen sehen, der die Babylonier besiegte und die Israeliten aus ihrer Gefangenschaft befreite. Wie Kyros kein Israelit war, so ist auch Trump kein Evangelikaler. Gott habe ihn geschickt und benutze ihn als Werkzeug, um sein Volk zu beschützen und Amerika aus seiner politischen Gefangenschaft zu befreien.

In dem Zusammenhang ist Gorskis Beobachtung interessant, dass über die Hälfte der Evangelikalen an eine Wiederkunft Christi vor dem Jahr 2050 glaubt. Zudem sind sie überzeugt, "dass der Wiederkunft Christi eine große "Drangsal" vorausgehen wird, ein kosmischer Kampf zwischen übernatürlichen Wesen, ein Endkampf zwischen Gut und Böse, in dem die Vereinigten Staaten ein zentrales Schlachtfeld und später eine Schlüsselprovinz im Königreich Christi hier auf Erden sein werden."

Problematische Entwicklung

Die Entwicklung hin zum Autoritarismus unter Donald Trump betrachtet Gorski als problematisch. Das Bekenntnis vieler weißer Evangelikaler zur liberalen Demokratie fiele bestenfalls schwach aus. "Ob religiöse Konservative wirklich noch als politische Konservative zu bezeichnen sind oder schon eher als Rechtsradikale, ist im Moment allerdings nicht so klar", schreibt er.

Zum Weiterlesen

Philip Gorski: »Am Scheideweg. Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Donald Trump«; Verlag Herder 2020; 224 Seiten; 24 Euro.

Als Lichtblick empfindet der Autor, dass einige Evangelikale inzwischen desillusioniert von Trump seien und sich von ihm abgewendet hätten. Das evangelikale Lager wirke nach außen einheitlicher, als es tatsächlich sei. Es bestehe die Möglichkeit, dass auch die evangelikale Bewegung in sich zersplittern würde, entlang von Rassen- und Generationengrenzen. Gorski fordert zum Widerstand gegen politisch-autoritäre Tendenzen auf sowie zur Bereitschaft auf evangelikaler Seite, mit nicht-weißen Evangelikalen zusammenzuarbeiten.

 Von Detlef Schneider