Gesellschaft gestalten

New Work, New Church, New Mission

Selfie von Esther am Schreibtisch
privat

Der Heimathafen will mehr sein als eine Arbeitsstätte. Deswegen kommen hier verschiedene Bereiche zusammen.

Die ungewohnte Stille im Co-Working-Space lässt mich fast zögern, meine Tastatur zu benutzen. In so einem ruhigen Umfeld habe ich noch nie gearbeitet. Alle um mich herum starren hoch konzentriert auf ihre Bildschirme, ihr Klicken mühelos lautlos. Manche haben Kopfhörer auf, ich jetzt auch. Die schallschluckenden Elemente an den Schreibtischen tun ihr übriges, ab jetzt bin ich im Tunnel.

Freie Platzwahl im Co-Working-Space

Der Arbeitsplatz im Erdgeschoss des Wiesbadener Heimathafens ist funktionell, der Bürostuhl bequem. Ich habe mich für einen Schreibtisch nah an der Türe entschieden. Außer mir arbeiten drei weitere Menschen im Raum, wir haben reichlich Platz zwischen uns. Einen großen Bildschirm kann ich einfach USB-C anschließen, W-LAN läuft.

Selfie bei der Videokonferenz
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Videokonferenz in einer schallschluckenden Kabine

Große graue Kabinen, ähnlich wie Telefonzellen, bieten Rückzugsmöglichkeiten für Videokonferenzen. Hier drin wird zwar die Luft im Laufe der Stunde etwas dicker, aber ich kann ungehemmt reden und vergesse fast den Co-Working-Space um mich herum.

Als ich wieder rauskomme, sind zwei Personen nicht mehr dieselben, wie vor der Konferenz. Ein kurzes Hallo und Nicken und wieder zurück an den Laptop.

Ich bin mit Ann-Kathrin Hartenbach verabredet. Aber ich hänge im Zeitplan. Eine Aufgabe will ich unbedingt noch erledigten, es dauert länger als geplant. Kein Problem. Ann-Kathrin schlägt vor, dass wir später in den Innenhof gehen, dort können wir auf Bierzeltgarnituren in der Sonne sitzen. Das Internet reicht auch bis da hin.

Altes Gericht Wiesbaden

Das Gebäude wurde bis 2009 als Amts- und Landesgericht genutzt. Seit November 2022 gibt es den Heimathafen im Alten Gericht. Seit Juni 2023 ist die EKHN an dem Zentrum beteiligt.

Website vom Heimathafen Wiesbaden

So ist das im Heimathafen: Moderne und multifunktionale Möbel kontrastieren die Architektur des denkmalgeschützten alten Gebäudes. Manche Möbel in den Gängen erinnern mich an Holzspielzeuge für Erwachsene. Im Eingangsbereich steht beispielsweise eine kleine Kiste mit Glasfront auf einem Metallständer. Sie erinnert mich an diese Spiele, wo man die Kugel in die Mitte eines Labyrinths bugsieren muss.

Co-Working im Wandel: Neue Arbeitswelten entstehen

Oben drüber steht aber: „Standpunkt-Dropper“ und die Frage „Was magst du lieber?“ Ich nehme einen der vielen orangen Pingpong-Bälle und werfe ihn bei Meer ein. Momentan liegt Meer vor Berge: 6:2. Überall gibt es Wohlfühl-New-Work-Angebote für die Kreativwirtschaft, Industrie, Mittelstand, Gründer und Startups.

Damit die sich nicht nur auf dem Flur begegnen, gibt es laufend Veranstaltungen. An meinem Abend bietet Clemens Fucker vom Heimathafen einen Power-Input zu der Kreativ-Methode „Design Thinking“ an.

Clemens erklärt den Prozess beim Design Thinking
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Die Teilnehmenden kommen aus unterschiedlichsten Bereichen: Zum Beispiel aus der Pädagogik, der Logistik oder der IT-Branche. Manche waren schon öfter hier, einige sind zum ersten Mal da. Gemeinsam tauchen wir in das Problem eines Teilnehmers ein. Zwar finden wir keine Lösung, aber wir lernen, wie gut wir mit wildfremden Menschen zusammenarbeiten können.

Mehr als Co-Working im Wiesbadener Heimathafen

Im Alten Gericht sollen Gesellschaft und Wirtschaft miteinander in Kontakt kommen und gemeinsam in die Zukunft bauen, erklärt Dominik Hofmann. Er ist einer der Gründer des Heimathafens.

Für ihn ist die Coworking-Area ein integraler Bestandteil des Konzeptes. 120 Menschen aus verschiedenen Bereichen könnten diese „Kontaktfläche“ nutzen. Aktuell sind das laut Dominik etwa 80 Menschen.

Auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nutzt den Coworking-Space im Heimathafen. Sie hat für ihre Mitarbeitenden drei Schreibtische im Alten Gericht. Zwei Plätze im Erdgeschoss (in der Coworking-Club-Area) und einen festen Schreibtisch im ersten Stock in der sogenannten Pro-Area. Hier gibt es dann auch die Kaffee- und Wasser-Flatrate. Auch ich darf mich hier heute bedienen.

Innovation im Namen der Kirche

Die EKHN experimentiert mit neuen Formen kirchlicher Arbeit, um Menschen in ihrem Alltag zu erreichen. Im Rahmen ihres Transformationsprozesses ekhn2023 fördert die EKHN sogenannte „kirchliche Erprobungsräume“. Die Kooperation im Wiesbadener Heimathafen ist vorerst auf drei Jahre beschränkt.

Neben den Büros gibt es noch ein Café, die Konferenz- und Tagungsräume sowie die Idee der „Civilkammer“. Der Name steht über einem alten Gerichtssaal und soll laut Dominik Hofmann „einladen, über die Zukunft unserer Gesellschaft zu verhandeln“. „Soziale Gerechtigkeit und soziale Fragen“ sollen eine Rolle spielen, erklärt Ann-Kathrin. Noch wird die „Civilkammer“ aber vor allem für Veranstaltungen genutzt.

Für Dominik ist die Zusammenarbeit mit der Kirche ein konsequenter Schritt im Rahmen seines Engagements für Kirche und Gesellschaft. Sein Traum, selbst eine Gemeinde zu gründen, ist „schmerzlich schiefgegangen“, erzählt er. Doch nun kämen die Menschen im Heimathafen auf ihn mit „denselben Fragen“ zu, die er sich damals gewünscht habe. Egal ob es um Eheprobleme oder Rückschläge bei der Gründung gehe, Kirche könne „Hoffnung und Trost“ spenden, sagt er.

Heimathafen und Kirche: Ein ungewöhnliches Bündnis

Portrait von Ann-Kathrin Hartenbach
Samira Schulz
Ann-Kathrin Hartenbach

Dem stimmt Ann-Kathrin zu. Dennoch sei es schwierig, junge Menschen für das „gute Angebot“ der Kirche zu begeistern. Sie ist seit März 2024 die Innovationsmanagerin vor Ort und hat ihren Schreibtisch in der Pro-Area. Das hat den Vorteil, dass sie ihren blinden Hund Sorin ins Büro mitnehmen kann, das geht nämlich im offenen Teil der Co-Working-Area nicht.

Die 30-Jährige koordiniert nicht nur die kirchlichen Arbeitsplätze im Heimathafen, sie will deutlich mehr. Sie will Menschen zwischen 20 und 35 Jahren erreichen. In Gesprächen erfährt sie häufig Vorurteile gegenüber ihrer Kirchenzugehörigkeit. „Ich werde in meinem Umfeld oft dafür angefeindet, dass ich noch in der Kirche bin“, erzählt sie.

Kirche neu erleben im Wiesbadener Heimathafen

Schon als junges Mädchen hat sie den Glauben für sich entdeckt. „Ich habe jedes Jahr ‚Taufe‘ auf meinen Weihnachtszettel geschrieben“, erinnert sie sich. Gerade in schwierigen Zeiten, etwa während ihrer Zeit als Gründerin, habe ihr der Austausch mit der Kirche geholfen. Deswegen findet sie ihre neue Arbeitgeberin überhaupt nicht verstaubt, sondern „cool und modern“.

Im Heimathafen will sie Menschen, die der Kirche fernstehen, zeigen: Die Kirche hat auch ihnen etwas zu bieten. Als konkretes Beispiel nennt sie die Seelsorge: „Die Leute wissen nicht, dass es Pfarrer:innen gibt, mit denen sie reden können. Jemand Neutrales, wenn sie keinen Psychologen-Termin finden oder niemanden sonst haben.“ Ann-Kathrin wünscht sich, ab Sommer im Ruhe-Raum „Self-Sync“ auch für Beratungsangebote etablieren zu können.

Kasten auf dem Rauszeitgenerator steht
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Regler für Vorlieben mit: bewegen, träumen, nachsinnen, ausruhen, kennenlernen, quatschen und experimentieren

Dafür arbeitet sie eng mit dem Dekanat Wiesbaden und den Kirchengemeinden vor Ort zusammen. Aber „wenn ich drauf schreibe, ‚wir machen eine Andacht‘, dann kommt niemand. Das ist rausgeschmissenes Geld“, erklärt sie resolut.

Ihr Ziel: Beliebte Angebote, bei denen den Menschen anschließend klar werde, das komme „von der evangelischen Kirche und wir haben noch weitere Veranstaltungen. Dann fällt es den Leuten viel leichter das Angebot anzunehmen“, so Ann-Kathrin. Dominik fällt direkt das Stichwort „Health-Care“ ein. In einem Umfeld, in dem überengagiertes Arbeiten schnell mal zum Burn-Out führen kann, sicher keine schlechte Idee.

Veranstaltungen im Heimathafen

Ab Juni gibt es die kirchlichen Veranstaltungen und Angebote. Schau einfach auf dem 📲 Instagramkanal EKHN_Innovationsraum vorbei.

Als Projekt- und Innovationsmanagerin plant Ann-Kathrin deswegen mehrere „Highlightveranstaltung“ zu Themen wie Selbstfürsorge, Mut oder auch Trost.

Ann-Kathrin stört sich an dem verkrusteten Bild von Kirche und will das veraltete Image aufpolieren. „Das ist mir eine Herzensangelegenheit, das ein bisschen zu verändern.“ Deswegen dürfe Kirche als Absenderin nicht aufdringlich in Erscheinung treten.

Sie tauscht sich regelmäßig mit dem Team des Heimathafens und den Kirchenvertreter:innen des Dekanats aus. Sie will viele Formate ausprobieren und die Angebote kontinuierlich auswerten, nachjustieren und gegebenenfalls neugestalten.

Ann-Kathrin will klar zeigen: Hier ist „meine Kirchensteuer gut investiert“ und damit zeigen, dass die Kirche eine relevante Ansprechpartnerin für Menschen in allen Lebenslagen ist.