von Nico Terhorst
Mein Heimatdorf ist Sonsbeck. Rund 6.800 Menschen leben hier irgendwo im tiefsten Westen von NRW. Im August 2017, an einem Montagmorgen, fuhr ich mit meinem Vater in Richtung Hessen. In die angeblich hässlichste Stadt Deutschland.
Ich kann mich noch an meine ersten Eindrücke erinnern. Das erste was ich an Gießen kennenlernen durfte: Das Gewerbegebiet des Schiffenberger Tals. Es hat alles, was man von so einem Gewerbegebiet erwartet: Eine lange, gerade Straße mit kastigen Häusern, Supermärkten und natürlich auch einem Tierbedarfsladen.
Die Innenstadt hat viele Gebäude aus den 1950er und 1960er Jahren, die heute wohl keinen Schönheitspreis mehr gewinnen würden. Und doch gibt es dazwischen immer wieder Gebäude aus der Gründerzeit, den 1870er Jahren. Manche mögen das Stadtbild als skurril beschreiben, aber das ist halt einfach Gießen.
Die hässlichste Stadt Deutschlands? Ich antworte darauf dann immer: „Dafür machen die Menschen die Stadt so besonders.“
„Kann ich in Gießen so coole Freunde wie in der Heimat finden, mit denen man sich zum Sport verabredet oder einfach mal im Park chillen kann? Gibt es überhaupt einen Park in Gießen?“ Ich habe mir solche Fragen ernsthaft gestellt. Niemand aus meiner Heimat studierte in Gießen oder überhaupt in Hessen. Ich war quasi der Ausreißer. Alle meine Schulfreunde blieben in der Heimat und das ist auch nach vier Jahren noch so.
Heute weiß ich, meine Befürchtungen waren unbegründet. Mag das Äußere zu wünschen übrig lassen, die eigentlichen Highlights der Stadt sind die Atmosphäre und die Menschen.
Überall laufe ich inzwischen bekannten Gesichtern über den Weg. Egal ob im Schwimmbad, beim Shoppen im Selterweg oder im Bus. Immer läuft man sich über den Weg und tauscht schnell ein paar Worte aus, bevor alle ihres Weges gehen. Mit rund 90.000 Einwohnern ist „Gießen halt ein Dorf“.
Auch in Bezug auf manche Busverbindungen stimmt dieser Satz mehr als man denkt. In meinem ersten Studi-Jahr fuhr meine Buslinie nur jede Stunde und an Sonntagen gar nicht. Auch dieses Gefühl kennen wir Dorfkinder wohl nur zu gut.
Ich könnte hier noch viel mehr zu dieser Stadt schreiben, die sich aber gar nicht wie eine anfühlt. Hier fühle ich mich nicht wie eine Person unter vielen. Für genügend Abwechslung sorgen die Angebote in der Stadt und die Menschen, da werden die nächsten zwei Jahre im Masterstudium ganz sicher nicht langweilig.