Engelwurz steht für die Heilige Dreifaltigkeit und Efeu für den griechischen Gott Dionysos. Kräuter und Götter, das war einmal eine selbstverständliche Verbindung. Kräuterexpertin Regine Ebert verrät dir, warum. Und auch, wie man einen Digestif mit Kräutern von der Wiese herstellt.
Der Weg führt hinein in ein kleines Wäldchen. Dort wächst unter anderem Efeu. Die Pflanze ist immergrün, blüht im Winter und steht für das ewige Leben. Im antiken Griechenland war Efeu dem Gott Dionysos gewidmet.
Die Pflanze ist giftig, wohldosiert aber lindern ihre Wirkstoffe Husten, lösen Schleim und haben eine berauschende Wirkung. „Oh sehet, es erregt mir den Geist der Efeu, der zum bacchischen Lusttaumel mich entrückt“, ist von dem griechischen Dichter Sophokles überliefert, erzählt Regine Ebert schmunzelnd und zeigt ein kleines frisches Efeublatt.
Laut griechischer Mythologie sollen Verehrer von Dionysos geglaubt haben, dass dort, wo viel Efeu wächst, Dionysos anwesend ist. Der Gott des Weines war so beliebt, dass seine Anhänger unterjochte Völker zwangen, ihm zu huldigen.
Im zweiten Buch der Makkabäer ist beschrieben, wie es den Juden in Jerusalem erging, als die Griechen die Stadt besetzt hatten: „Wenn man aber das Fest des Dionysos beging, zwang man sie, dass sie mit Kränzen von Efeu dem Dionysos zu Ehren einherziehen mussten (2. Makk 6).
Die ersten Christen, schreibt Marianne Beuchert in ihrem Buch „Symbolik der Pflanzen“, legten gläubige Verstorbene auf Efeu, das in der Symbolik auch für Treue steht. Nicht-Bekehrte lagerten sie auf Zypressen. „Wer in Christo getauft ist, ist unsterblich, die Ungetauften aber sind ohne Hoffnung auf Auferstehung, gleich den Zypressen, die einmal gefällt, nie mehr nachwachsen.“
Die Verbindung zwischen Göttern und Pflanzen kam von der frühen Sicht der Menschen, die Erde als Spenderin allen Lebens zu begreifen, erklärt Regine Ebert. Die ehemalige Redakteurin der Frankfurter Rundschau hat ihr Interessensgebiet zum Beruf gemacht.
Vorherrschend sei der Gedanke gewesen, dass sich in jedem Menschen, jedem Tier und auch in jeder Pflanze der jeweilige Gott verkörpere. Einen Hinweis darauf gäben etwa Schöpfungsmythen, in denen der Mensch aus einem Baum entstanden ist.
In der nordischen Mythologie entstand der Mann aus einer Esche, die Frau aus einer Ulme. Aus Mexiko gebe es Überlieferungen, nach denen der Mensch aus einem gespaltenen Baum entstand.
„Die Verbindungen von Christentum und Kräutern gehen zurück auf frühere Götter“, sagt die 60-Jährige. Christen hätten Überlieferungen auf eigene Heilige übertragen. Ein gutes Beispiel sei die germanische Göttin Freia, Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit.
Eine ihrer Pflanzen war die vitaminreiche Erdbeere. Freia soll die Seelen verstorbener Kinder in den Blüten der Erdbeere versteckt und so in das Totenreich Walhalla geschmuggelt haben. Ein Ort, der heldenhaften Kriegern vorbehalten war.
Später, bei den Christen, war es die Gottesmutter Maria, die jedes Jahr zur Erde kam, um Erdbeeren für die verstorbenen Kinder im Paradies zu pflücken. In der christlichen Symbolik steht das dreigeteilte Blatt der Erdbeere für die Heilige Dreieinigkeit, erklärt die ausgebildete Phytologin.
Regine Ebert hält in dem kleinen Wäldchen den Blick auf den Boden gesenkt, sucht nach ersten Trieben der Engelwurz. Im Sommer geht der Blick bei der Suche nach oben: Die Engelwurz – auch Heiliggeistwurzel genannt – wird mannshoch und wächst im Wald genau dort, wo Licht einfällt. „Das sieht manchmal aus wie ein Heiligenschein“, sagt Regine Ebert.