Ferdinand Sutterlüty: Bei den Anhängerinnen und Anhängern rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien spielt das Gefühl, betrogen, nicht berücksichtigt und gekränkt worden zu sein, eine große Rolle.
Nehmen wir das Beispiel USA: Diejenigen, die von den Folgen der Deindustrialisierung, von Armut, Einkommensverlust und regionaler Strukturschwäche betroffen sind, zeigen eine besondere Empfänglichkeit für die rechtspropagandistische Botschaft, von einer politischen, ökonomischen und kulturellen Elite betrogen zu werden.
Ferdinand Sutterlüty: Weil auch Vorstellungen weißer Überlegenheit eine Rolle spielen. Wer solche Vorstellungen hat und erlebt, wie Schwarze oder Migranten auf der sozialen Stufenleiter an ihm oder ihr vorbeiziehen, empfindet sich leicht als vernachlässigt und ungerecht behandelt. Diese Leute hat Trump verstanden anzusprechen.
Auch hierzulande gibt es bei vielen die Vorstellung, dass die, die schon immer da waren, Vorrechte gegenüber denen haben sollten, die später gekommen sind. Für diese Menschen gibt es politische Angebote, die ihre Wahrnehmungsmuster noch verstärken und in bestimmte Richtungen lenken.
Ferdinand Sutterlüty: Die meisten sagen nicht direkt, dass sie Vorrechte haben müssen. Oft sagen sie sogar, sie seien für ethnische Gleichheit. Aber wenn zum Beispiel türkischstämmige Unternehmer erfolgreich sind und sozial aufsteigen, suchen sie nach Gründen, warum das nicht sein dürfe. Sie werfen ihnen dann kriminelle Machenschaften vor oder dass sie ganze Stadtteile übernehmen wollten.
Das ist ein untergründiges Deutungsmuster, das gar nicht ausdrücklich gerechtfertigt wird, sondern bereits die soziale Wahrnehmung prägt.
Aus den USA zeigen Untersuchungen, dass evangelikale Christen oft von solchen Überzeugungen der eigenen Überlegenheit geprägt sind. Sie begreifen sich als „chosen people“.
Es ist ein Markenzeichen des Rechtspopulismus, dass er seine eigentlichen Beweggründe nicht rechtfertigt. Es werden ja nicht direkt eine rassistische Politik oder Privilegien gefordert.
Man stellt sich als Opfer dar und sagt, es müsse legitim sein, gegen die Verdrängung durch „fremde Völkerschaften“ vorzugehen. Formal werden die Werte des Rechtsstaats verteidigt, aber in den einzelnen Politiken werden diese unterlaufen. Das ist das Besondere am Rechtspopulismus, und deswegen sieht man auch nicht sofort, wie stark er die Grundlagen der Demokratie gefährdet.
Ferdinand Sutterlüty: Der heute zu beobachtende Rechtspopulismus basiert wesentlich auf Ressentiments, Hass und Zerstörungswut, denn er hat kein positives Gesellschaftsmodell und in diesem Sinne auch keine Zukunft.
Man kann da schon von einer libidinösen Besetzung der Zerstörung sprechen: Führungspersonal und Anhängerschaft stimmen darin überein, wenigstens anderen etwas wegzunehmen und kaputtzumachen, was ihnen lieb und teuer ist.
Das Schüren von Hass auf bestimmte Gruppen und auf den Staat ist ihr Kerngeschäft. Die Menschen, die das Kapitol in Washington stürmten, versuchten gar nicht erst, etwas Konstruktives in die Politik hineinzubringen, sondern wollten nur Angst verbreiten, und sie attackierten direkt den politischen Gegner.
Es werden aber auch die Grundfesten der Demokratie torpediert, wenn demokratischen Verfahren und Institutionen ihre Legitimität abgesprochen wird, weil sie angeblich von dunklen Mächten, Lug und Betrug beherrscht werden.
Ferdinand Sutterlüty: Meiner Auffassung nach müssen wir auch mit Rechten diskutieren, zumindest mit denen, die noch erreichbar sind.
Als Demokratin oder Demokrat ist man ja fast dazu verurteilt, daran zu glauben, dass rationale Argumente etwas zählen. Darauf basiert Demokratie. Andererseits ist es ja so, dass der Rechtspopulismus schon auch Ursachen in der sozialen Realität hat.
Die westlichen Gesellschaften haben in der Vergangenheit zu viel Ungleichheit zugelassen, und das ist der Nährboden der Deutungsmuster, denen wir im Rechtspopulismus begegnen. Diese mit Ungleichheiten zusammenhängenden Probleme zu adressieren und für sozialen Ausgleich zu sorgen ist und bleibt eine vorrangige Aufgabe der Politik.