Olympische Spiele 2024

Warum Fans bei Olympia weniger mitfiebern als bei der EM

Robert Gugutzer ist Sport-Soziologe
Charlotte Mattes

Olympia folgt auf die EM: In Paris sind jetzt andere Sportarten und ihre Fans an der Reihe. Dabei fiebern sie unterschiedlich mit, erklärt Sport-Soziologe Robert Gugutzer.

Der Soziologe Robert Gugutzer ist Professor an der Frankfurter Goethe Universität. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Sport- und Körpersoziologie.
Robert Gugutzer ist seit seiner Kindheit Bayern München Fan – ein früher Stadionbesuch mit seinem Vater habe ihn als Kind überwältigt und seitdem sei er „gefangen.“
Er selbst gehe gern zum Public Viewing, schaue für ihn wichtige Spiele, aber am liebsten alleine und ungestört.
Aktuell forscht er mit seinen Studierenden zum Thema Public Viewing während der Fußball Europameisterschaft. Die Studierenden schauen unterschiedliche Spiele in der Fan Zone am Mainufer und notieren, wie die Stimmung vor Ort ist. So soll es eine Antwort auf die Frage geben, wie (gute) Stimmung beim Public Viewing entsteht. Studierende machen sich dafür (Sprach-) Notizen und beschreiben auch ihre persönlichen Emotionen vor Ort.
Im Interview mit Redakteurin Charlotte Mattes erzählt Robert Gugutzer welche Bedeutung Fußball für die Gesellschaft hat.

Europameisterschaft bietet Auszeit vom  Alltag

Beim Fußball zeigen Fans häufig lautstark Emotionen und es wirkt ansteckend. Zum Beispiel brüllen Fans gemeinsam. Wie wichtig ist es, seine Gefühle einfach mal raus zu lassen?

Robert Gugutzer: Beim Fußball darf man sich auch mal daneben benehmen und das tut gut (lacht.) Deshalb sind Volksfeste, wie das Oktoberfest oder Fasching wichtige soziale Ereignisse. Sie bieten Auszeiten vom Alltag. Es gibt auch Aggression. Aber vielleicht ist es wichtig, dass wir diese Mal ausleben dürfen, solange es einigermaßen im Rahmen bleibt. Jeder Mensch hat, glaube ich, Aggressionen. Und wo darf man sie denn leben? Im Sport darf man halt auch mal „Du … sagen“.
Man kann seinen Gefühlsstau, den man vielleicht in sich hat, loswerden. Das ist eine wichtige soziale Funktion des Sports, des Fußballs, denke ich.

Robert Gugutzer in seinem Büro
Charlotte Mattes
Robert Gugutzer in seinem Büro

Manche lieben Fußball, andere finden Fußball sehr langweilig oder nervig. Warum polarisiert Fußball so?

Robert Gugutzer: Selbst wer sich nicht für Fußball interessiert, kommt an der EM nicht vorbei. Man muss sich irgendwie dazu positionieren. Es kann auch nerven, weil überall darüber berichtet wird. Die einen sind positiv, euphorisch und manche anderen genervt. Das ist ja auch ein Gefühl und so spricht man darüber und auf diese Weise, entsteht auch eine Gemeinschaft.

Kann Fußball denn als Kleber für die Gesellschaft wirken - rücken wir so zusammen?

Robert Gugutzer: Man darf nicht zu viel erwarten. Also wenn die Hoffnung damit verbunden sein sollte, dass wir jetzt Tendenzen der Spaltung, der Polarisierung durch den Fußball-Kitt, beheben könnten. Das, glaube ich, funktioniert nicht. Dafür ist der Fußball auch wieder zu unwichtig.

 

Umfrage zur Vielfalt in der National-Mannschaft

Für eine Doku hatte der WDR Infratest dimap mit einer repräsentativen Studie beauftragt.

1304 zufällig ausgewählten Personen wurden dabei zur Vielfalt in der Nationalmannschaft befragt.

21 Prozent stimmten zu, dass sie mehr weiße Spieler in der National-Elf sehen wollen. 65 Prozent stimmten der Aussage überhaupt nicht zu. 

Welche Rolle spielt denn die Auswahl der deutschen Nationalmannschaft – ist sie ein Spiegelbild der Gesellschaft?

Robert Gugutzer: Für die Gesellschaft spielt das eine sehr, sehr große Rolle. Man sieht auch an der Nationalmannschaft, dass sich gesellschaftlich etwas entwickelt und verändert hat. Wir leben in einer globalisierten Welt, in einer multikulturellen Welt. Wir haben Spieler mit einem Migrationshintergrund, wir haben Schwarze Nationalspieler. Idealerweise wird die Nationalmannschaft dann zum Symbol, wie Integration gelingen kann. Denn hier sehen wir, wie elf oder 20 Menschen verschiedener Herkunft und Hautfarbe miteinander versuchen, etwas herzustellen und Freude zu vermitteln.

Wenn Gesellschaft so funktionieren würde, wie die Fußballnationalmannschaft, wäre sehr viel erreicht.

Das ist offensichtlich nicht der Fall. Man hat im Vorfeld diese eine Studie immer wieder diskutiert, wo es darum ging, ob sich die Fans eigentlich mehr weiße Spieler wünschen. Da gab es erschreckenderweise einen sehr hohen Prozentsatz, der sich das gewünscht hat.

Das ist der politische Kontext, innerhalb dessen wir uns gerade bewegen, dass Nationalismus und Rassismus zunehmen, natürlich auch unter Fußballfans.

EM vs Olympia: was ist emotionaler?

EM oder Olympia

Wo fieberst du mehr mit?

Nach der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland geht es mit Olympia in Frankreich weiter. Was schaust du dir lieber an, und warum?

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Neben der EM steht ja noch ein großes Sportevent an Olympia. Mein Eindruck ist, dass dieses Event nicht so emotional zündet, wie eine Europameisterschaft…

Robert Gugutzer: Den würde ich bestätigen. Gerade haben wir ein sportliches Großereignis vor der eigenen Haustür. Olympia findet in Paris statt. Olympia ist im Ausland, dann kommt beim Fußball dazu, dass man sich in der Regel mit einem Team identifiziert oder ihm zumindest die Daumen drückt. Dadurch ist es emotionaler.
Bei Olympia gibt es natürlich auch Mannschaftswettbewerbe. Aber häufig wünscht man bei Olympia einer Sportlerin oder einem Sportler, dass er oder sie gewinnt. Bei Olympia haben wir viele verschiedene Sportarten. Der Gefühlshaushalt ist dann auch mal erschöpft und man kann auch gar nicht alles verfolgen. Man kriegt dann auch nur ein paar ausgewählte Sportarten präsentiert, sodass die emotionale Bindung bei Olympia eine ganz andere ist, als beim Fußball.

Was natürlich ein großer Vorteil ist, dass bei Olympia sogenannte Randsportarten im Mittelpunkt stehen. Die haben ja auch Fans und dadurch vielleicht auch mal ein anderes Erleben als immer nur der Fußball. Das ist ein guter Aspekt.

„Fußball und Religion sind irrational“

Sie sind Atheist, interessieren sich aber für die Wissenschaft auch für Religion. Inwiefern gibt es Parallelen zwischen Religion und Fußball?
Robert Gugutzer: Fußball ist, wie die gelebte Religion, total durchritualisiert, zum Beispiel die Fangesänge. Wenn man will, kann man sie mit den Kirchenliedern vergleichen.

Es gibt auch eine gewisse Liturgie, eine gewisse Dramaturgie, wie das abläuft. Zum Beispiel: die Nationalhymne vor dem Spiel, Handshakes und so weiter. Es gibt auch Rollenträger, Priester und Götter im Fußball. Also in Anführungsstrichen. Diego Maradona oder Pelé, Franz Beckenbauer war nicht nur Kaiser, sondern immer der Fußballgott. Es gibt auch viele temporäre Götter. Also in einzelnen Spielen, wenn jemand ein herausragendes oder ein wichtiges Tor schießt. Es gibt auch Märtyrer, die gibt es in der Religion ja auch, die sich also wirklich aufopfern für ihr Team. Bastian Schweinsteiger zum Beispiel bei der WM 2014, als er mit blutverschmiertem Gesicht, noch das Endspiel gespielt hat.

Fußball und Religion sind irrational, das klingt jetzt negativ, ist aber nicht so gemeint. Mein Herz an einen Fußballverein zu hängen und, dass es mir schlecht geht, wenn er verliert und gut geht, wenn er gewinnt, ist ja eigentlich lächerlich. Für mich geht es ja um nichts. Aber so ist es halt, auch bei mir.
Ob es Gott gibt oder nicht, ist wurscht, Menschen glauben daran. Das gibt ihnen Hoffnung und Halt und Sicherheit und schafft eine emotionale Bindung und Orientierung. Ich denke, es ist gar nicht so wichtig, woran man glaubt. Hauptsache, man hat etwas, woran man glaubt und sein Herz hängen kann.