Interview

Auf die Gefahr von Atomwaffen hinweisen

die beiden Studentinnen stehen vor einer Skulptur, die eine Pistole mit verknotetem Lauf darstellt
privat

Zwei Frankfurter Studentinnen berichten über ihre Teilnahme an der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York City.

Elisabeth Saar (im Bild links) und Leonie Wanner studieren an der Goethe-Universität in Frankfurt. Elisabeth studiert Politische Theorie, Leonie Internationale Studien/ Friedens- und Konfliktforschung.

Derzeit sind die beiden Masterstudentinnen Teil einer deutschen zivilgesellschaftlichen Jugenddelegation, die die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York City begleitet. Der Vertrag trat 1970 in Kraft und hat die Nichtverbreitung von Atomwaffen sowie die atomare Abrüstung zum Ziel.

Wie habt ihr die Tage in New York erlebt?

Leonie Wanner: Ich habe die Zeit dort dank Kaffee und inspirierenden Gesprächen auch ohne viel Schlaf mehr als genossen. Wir haben in der kurzen Zeit viel erreicht: Es gab täglich Gespräche mit Staatendelegationen, darunter Kanada, Norwegen, USA und Deutschland, und mit Gleichgesinnten aus der Zivilgesellschaft.

Als junge Menschen haben wir Präsenz auf globaler Bühne gezeigt und ein starkes Zeichen für Abrüstung gesetzt. Unvergessen für mich bleibt der Austausch mit Betroffenen von Atomwaffentests, mit jungen Menschen von den Marshall Islands und aus Hiroshima.

Elisabeth Saar: Für mich war es eine unfassbar intensive, bereichernde Erfahrung und ein Privileg, insbesondere vor dem Hintergrund, dass verspätete Visa-Termine oder beschränkte Ressourcen Vertreter:innen der Wissenschaft und Zivilgesellschaft des globalen Südens die Teilnahme erschwert haben. Ich bin dankbar für inspirierende Begegnungen. Aber ich blicke mit gemischten Gefühlen zurück.

Warum?

Elisabeth Saar: Die Konferenz hat zwar vielversprechend begonnen – Annalena Baerbock hat mit ihrer Teilnahme zum Auftakt ein politisches Signal gesetzt, im Anschluss hatten wir auch die Möglichkeit für ein kurzes Treffen mit ihr. Es wurden erste Arbeitspapiere vorgestellt, die konkrete Maßnahmen für nukleare Abrüstung und die Verantwortung von Atomwaffenstaaten und ihren Verbündeten im Zusammenhang mit den humanitären Folgen von Atomwaffen thematisiert haben.

Aber das Abschlussdokument wurde nach vier Wochen Verhandlungen von Russland blockiert. Wobei es der aktuellen Bedrohungslage sowieso nicht gerecht geworden wäre. Messbare oder zeitlich gebundene Schritte in Richtung Abrüstung wurden nicht festgelegt und darüber hinaus wurden die humanitären Folgen von Atomwaffen nicht tiefergehend thematisiert. Das spiegelt die zerrissene internationale Sicherheitslage wider und ist angesichts der von Atomwaffen ausgehenden Gefahr verantwortungslos.

Atomwaffen als Abschreckung

Im Zuge des Ukraine-Krieges drohte der russische Präsident Putin indirekt mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ist die Strategie atomarer Abschreckung auf europäischer Ebene daher alternativlos?

Leonie Wanner: Ich frage mich immer, wo das hinführen soll. Der Kalte Krieg hat gezeigt, dass Atomwaffen zu einer großen Gefahr werden können. Man redet über nukleare Aufrüstung im Sinne der Abschreckungslogik wie über die Entscheidung, ob man heute Milch kaufen geht. Es findet eine komplette Normalisierung einer Massenvernichtungswaffe statt.

Elisabeth Saar: Das Argument der Abschreckungslogik ist zu eindimensional. Eine stärkere militärische Beteiligung der NATO in der Ukraine hätte es womöglich auch dann nicht gegeben, wenn Putin nicht indirekt mit Atomwaffen gedroht hätte. Bei potenziellen NATO-Einsätzen spielen vielerlei Faktoren eine Rolle.   

Im Juni habt ihr an der Konferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in Wien teilgenommen. Außerdem arbeitet ihr in einem Friedensverein zu dem Thema. Mit welchen Erkenntnissen?

Elisabeth Saar: Dass noch viel Bildungsarbeit in der Zivilgesellschaft und in der Politik nötig ist. Sicherheit wird oft durch die Abschreckungslogik definiert und generiert.

Aber niemand hinterfragt, was das in der Konsequenz bedeutet: Ein Staat, der nach dieser Logik handelt, müsste dazu bereit sein, einen anderen Staat mit einer Massenvernichtungswaffe zu verletzen oder zu vernichten.

Leonie Wanner: Unser Fokus liegt zudem auf den humanitären Auswirkungen. Der Uranabbau findet vor allem auf indigenen Territorien statt. Atomwaffentests werden vorrangig in Staaten des globalen Südens durchgeführt. Es gibt viele Berichte über Fehlgeburten, Missbildungen bei Kindern und Krebserkrankungen.

Wirksamkeit des Atomwaffensperrvertrags?

Die letzte Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag 2015 blieb ergebnislos. Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea besitzen Atomwaffen, gehören dem Vertragsregime aber nicht an. Wie wirksam ist der Vertrag?

Leonie Wanner: Momentan funktioniert er nicht. Atomwaffenstaaten rüsten nicht ab, im Gegenteil. Das Festhalten einiger Staaten am Vertrag erscheint scheinheilig.

Elisabeth Saar: Es bedarf einen konstruktiven und partizipativen Dialog, insbesondere seitens der Atomwaffenstaaten und deren Alliierten. Die Anerkennung und Inkludierung der humanitären sowie ökologischen Auswirkungen von Atomwaffen in die Vertragsverhandlungen könnten eine Chance sein, diese wiederzubeleben.

Mit welchen Zielen seid ihr nach New York gereist?

Leonie Wanner: Wir wollten als Vertreter:innen der Zivilgesellschaft Präsenz zeigen. Wir führten Gespräche mit verschiedenen Stakeholdern, um auf die genannten humanitären Konsequenzen hinweisen.

Und wir plädieren dafür, dass die sogenannte `victim assistance‘ Teil des Vertrags wird. Dabei zahlen Staaten in einen Fonds ein, der den Geschädigten von Atomwaffentests zugute kommt.

Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag

Sechs Jugenddelegierte der Friedenswerkstatt Mutlangen nehmen an der zehnten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag der Vereinten Nationen (UN) teil. Die Konferenz findet vom 1. bis 26. August in New York statt.

Elisabeth Saar: Gut wäre, wenn sich die Staaten auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen. Die Konferenz läuft vom 1. bis zum 26. August, fast einen Monat lang. 191 Staaten nehmen teil. Dennoch ist das Thema öffentlich kaum präsent.

Die nukleare Bedrohung betrifft uns aber alle. In Deutschland sind 20 US-Atomwaffen stationiert. Deshalb wollen wir mehr Öffentlichkeit für das Thema schaffen und an die Verantwortung der Bundesregierung appellieren.

Rolle Deutschlands bei der atomaren Bedrohung

Deutschland fällt als atomarer Teilhabestaat also eine zentrale Rolle zu?

Elisabeth Saar: Deutschland kann innerhalb Europas eine Schlüsselrolle einnehmen. Durch seinen Status als Teilhabestaat muss Deutschland Verantwortung übernehmen. Etwa durch eine schrittweise Annährung an den Atomwaffenverbotsvertrag oder durch das Anregen eines strategischen Umdenkens in der NATO.

Was ist der Atomwaffenverbotsvertrag?

Der Atomwaffenverbotsvertrag hat das Ziel, eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Knapp 90 Staaten haben ihn unterzeichnet, darunter allerdings keine Atommächte oder NATO-Staaten inklusive Deutschland. 

Der Unterschied zwischen Atomwaffensperrvertrag und Atomwaffenverbotsvertrag vom Deutschlanfunk erklärt.

Was erhofft ihr euch für die Zukunft?

Leonie Wanner: Ich hoffe darauf, dass es in kleineren zwischenstaatlichen Foren Fortschritte mit Blick auf die Abrüstung und unsere Mindestforderungen gibt: Erstens die Anerkennung der enormen humanitären und ökologischen Folgen von Atomwaffen, deren Abbau, Einsatz und Androhung eines Einsatzes; und zweitens die staatliche Einzahlung in einen Fond, der den Betroffenen von Atomwaffentests und -einsätzen und dem Uranabbau zugutekommt.

Elisabeth Saar: Gerade jetzt ist es jetzt wichtig, weiter zu machen, an die Verantwortung der Atomwaffenstaaten und ihren Verbündeten wie Deutschland zu appellieren, jegliche Drohung mit Atomwaffen zu verurteilen und den Betroffenen einen gerechteren Zugang zum Diskurs zu ermöglichen, um bei der Vorbereitungskonferenz im kommenden Jahr in Wien hoffentlich bessere Ergebnisse zu erreichen.