Zivilcourage stärken, Gewalt vorbeugen

10 Jahre nach Tugce - Zivilcourage lehren und leben

Dogus Albayrak steht neben dem Schild des Vereins „Tugce Albayrak“.
epd/Tim Wegner
Dogus Albayrak ist der Bruder von der getöteten Studentin Tugce Albayrak und Gründer des Vereins „Tugce Albayrak“.

Tugce Albayrak starb am 28. November 2014 nach einer Auseinandersetzung vor einem Fast-Food-Restaurant. Ihr Bruder Doğuş Albayrak widmet sich seitdem der Gewaltprävention.

Ein weißes Schild, darauf in Schwarz das Porträt einer jungen Frau und ihr Name: Tugce Albayrak. Das Schild hängt vor den Räumen des gleichnamigen Vereins in einer belebten Straße der Innenstadt von Frankfurt am Main. Der Verein erinnert an Tugces Schicksal und will Zivilcourage lehren und Gewalt vorbeugen.

Doğuş Albayrak hatte ebenso wie seine Schwester in Gießen studiert, als die damals 22-Jährige vor zehn Jahren in eine Auseinandersetzung geriet, die sie das Leben kostete. „Wir waren uns nahe“, sagt der 35-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Wunde schmerze die Familie noch immer. Als Studierende - er Wirtschaftswissenschaften, sie Deutsch und Ethik für das Lehramt - hätten die Geschwister begonnen, sich noch einmal anders kennenzulernen. Doch sie kamen nicht weit.

Was damals passiert ist

Dogus Albayrak, Tugces Bruder neben einer hängenden Rose
epd/Tim Wegner
Dogus Albayrak setzt sich für Gewaltprävention ein

In der Nacht zum 15. November 2014 hatte Tugce in einem Offenbacher Fast-Food-Restaurant zwei Mädchen geholfen, die von einer Gruppe junger Männer in den Toilettenräumen belästigt worden waren. Später trafen Tugce und ihre Freundinnen die jungen Männer auf dem Parkplatz wieder. Einer von ihnen, der damals 18-jährige Sanel M., versetzte Tugce einen heftigen Schlag. Sie stürzte mit dem Kopf auf den Asphalt und fiel ins Koma.

Am 28. November, Tugces 23. Geburtstag, ließ ihre Familie die lebenserhaltenden Maschinen abschalten. Der Täter wurde zu drei Jahren Haft verurteilt und anschließend nach Serbien abgeschoben. Der Tod der beherzten jungen Frau hatte international Aufsehen erregt, sie wurde zu einem Symbol für Zivilcourage. Zur Beerdigung in ihrer Geburtsstadt Bad Soden-Salmünster kamen rund 1.300 Menschen.

Laufen gegen Gewalt

Ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod von Tugce gründeten ihre Familie und Freunde den Verein, um mit Gewaltprävention zu verhindern, dass so etwas wieder passiert.

Der Verein organisierte unter anderem 2019 zusammen mit der Stadt Bad Soden-Salmünster einen Lauf unter dem Motto Spessarthelden - Laufen gegen Gewalt“. An der Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff nehmen seitdem jährlich Hunderte Läuferinnen und Läufer teil. Inzwischen sei aus dem Benefizlauf ein Festival mit Foodtrucks, Musik und Kinderprogramm geworden, erzählt Albayrak.

Schulen können Fördergelder beantragen

Um die Kurse zu finanzieren können Schulen Fördergeld beantragen. Beim Ausfüllen der Formulare helfen auch Ehrenamtlichen des Vereins.

An Schulen ist der Verein mit dem Workshop Alltagshelden“ unterwegs. Allein innerhalb des vergangenen Jahres haben daran in mehr als 30 Schulen bundesweit 1.900 Schüler* in dritten bis zehnten Klassen teilgenommen. „Die Träger der Gesellschaft von morgen“ sollten sich vom Beispiel seiner Schwester nicht abschrecken lassen und lernen, wie sie trotz Empathie und Zivilcourage auf sich selbst achten können, erklärt Albayrak.

Neun Pädagog*innen bieten auf Honorarbasis die Theaterworkshops an. Die Kinder schlüpfen in die Rollen von Opfern und Täter*innen. Sie lernen, in Konflikten auf Worte und Gestik zu achten und zu erkennen, wann eine Situation gefährlich wird und wie sie sich verhalten können. Es gebe ihm Kraft, wenn er den Kindern ansehe, dass sie verstehen, worum es geht, sagt Doğuş Albayrak.

Den Rachegedanken Glück und Liebe entgegensetzen

Die Kraft braucht er, denn er ist bei jedem der Workshops dabei und erzählt Tugces Geschichte. Sie gebe ein gutes Fundament für das anschließende Theaterspiel. In jeder Gruppe gebe es auch die Kinder, die sagen: „Hey, was redest du da, man muss sich doch rächen. Ich hätte den verfolgt und geschlagen.“

Ich hatte diesen Hass und die Rachegedanken auch, ich bin ein Mensch mit Emotionen.

Dogus Albayrak

Das gebe er den Kindern gegenüber auch zu. „Ich frage sie dann allerdings auch, was sich für sie besser anfühlt: Hass oder Glück und Liebe?“ Die Antwort sei fast immer Glück und Liebe.

Auf Dauer sei die Arbeit mit den ehrenamtlichen Strukturen allein nicht zu schaffen, sagt Doğuş Albayrak, der freiberuflich eine Werbeagentur betreibt. Aktuell suche man nach Wegen, um die Gewaltprävention nachhaltig finanzieren und anbieten zu können. „Hätte Tugce einen unserer Kurse besucht, würde sie heute vielleicht noch leben“, sagt ihr älterer Bruder nachdenklich.