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Umweltschutz

Himmelshüter: Kirchtürme als Zufluchtsorte für bedrohte Arten

Turmfalke füttert Jungtiere
Matthias Pieren
Im Turm der Usinger Laurentiuskirche ziehen seit 20 Jahren immer wieder Turmfalken ihre Jungen groß.

Mauersegler im Kirchturm, Wanderfalken oben drauf: Kirchengemeinden können einiges tun, um die Artenvielfalt zu unterstützen. Behilflich ist dabei das Projekt „Lebensraum Kirchturm“.

von Stefanie Walter

Volker Klingmüller öffnet die kleine Holztür und schaut neugierig in das Fach. „Sieht so aus, als wäre einer drin ­gewesen.“ Er öffnet die nächste Tür: „Hier hat ein Mauersegler gebrütet.“ Zehn Nistkästen für ­Mauersegler hat die Petrusgemeinde Gießen in ihrem Kirchturm eingerichtet. Die Gemeinde macht mit bei der Aktion „Lebensraum Kirchturm“ des ­Naturschutzbundes Nabu.

Kirchturm der Gießener Petrusgemeinde
Stefanie Walter
43 Meter ist der Turm der Petruskirche hoch, auf etwa 25 Metern Höhe befinden sich die Nistkästen. Nach oben wäre also genug Platz für ­weitere Mitbewohner.   

Die Nistkästen mit den 20 Brutplätzen ­befinden sich in den Schalllöchern der Glocken. In einer Ecke des Fachs liegen ein paar Federn und etwas Geäst, zu einem Kreis von zehn Zentimetern Durchmesser geformt. Mauersegler ­verbringen fast ihr ganzes Leben in der Luft. Auch Materialien für den Nestbau nehmen sie von ­unterwegs mit, „deshalb ist das Nest so spartanisch“, erklärt Klingmüller.

Der frühere Kinderarzt betreut das Projekt der Gemeinde. Vor drei, vier Jahren ging es los.

Anfangs zog eine Lautsprecheranlage mit Lockrufen die ersten Mauersegler an. Wie viele Tiere bereits im Kirchturm gebrütet haben, kann Klingmüller nicht sagen. Im Sommer jedenfalls könne man die Vögel beobachten, wie sie um den Turm fliegen. Außerdem sind Live-Kameras installiert, über die Interessierte das Geschehen in den ­Nistkästen beobachten können.

Volker Klingmüller schaut in das Nistfach.
Stefanie Walter
Volker Klingmüller kümmert sich um die Nistplätze im Kirchturm

Die Aktion „Lebensraum Kirchturm“ läuft seit 2007. Seitdem wurden bundesweit rund 1.000 ­Kirchen mit einer Plakette ausgezeichnet, in Hessen etwa 90. Das Projekt sei zwar erfolgreich, aber etwas in die Jahre gekommen, sagt Kathrin Kaltwaßer vom Nabu Hessen.

Sie hält es angesichts des dramatischen Verlusts der Artenvielfalt allerdings für enorm wichtig und ausbaufähig:

Es ergeben sich schnell Synergien zwischen Naturschutz und ­Gemeindearbeit.

Kathrin Kaltwaßer

Mit Kindergruppen beispielsweise könne man schöne Projekte machen. Die Gemeinden erfülle es mit Stolz, „wenn seltene Arten in der eigenen Kirche unterkommen“.

Geld für den Artenschutz

Die Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) unterstützt die Aktion „Lebensraum Kirchturm. Kirchengemeinden bekommen bis zu 600 Euro, etwa wenn sie eine Blumenwiese ­anlegen, Fledermauskästen aufhängen oder ­Nistplätze im Kirchturm einrichten.

Flyer (PFD), wie Kirchengemeinden aktiv das Klima schützen können

Fast jede Kirche oder Kita hat ein Außengelände“, sagt ­Maren Heincke vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der EKHN in Mainz.  Ziel müsse es sein, „exemplarisch, wo wir als Kirche Gelände ­haben, ins positive Handeln zu kommen“.

Die Referentin hat auf der ZGV-Website eine Linksammlung mit Tipps für mehr Artenvielfalt zusammengestellt. Für Igel zum Beispiel – sie stehen in Hessen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten – könne man Lücken im Zaun lassen und ihnen kleine Tränken zur Wasserversorgung hinstellen. Ganz wichtig: nachts Mähroboter abstellen.

Bei Bauarbeiten an Kirchengebäuden könnten die Gemeinden bewusst die Ansiedlung von ­Tieren fördern, rät Heincke. Nistkästen und ­Insektenhotels steigern die Artenvielfalt ebenso wie bienenfreundliche Pflanzen.

Sitzender Turmfalke mit der Stadt Gießen im Hintergrund
Matthias Pieren
Beim Turmfalken ist die Gefiederoberseite rostrot mit schwarzen Punkten.

Die Gießener Petrusgemeinde hat oben auf ihrem Turm auch einen Nistkasten für Wander­falken aufgestellt. Er sieht aus wie eine kleine Waschmaschine. Noch ist er unbewohnt. Bis zu zehn Jahre könne es dauern, bis sich ein Falke ansiedelt, berichtet Volker Klingmüller.

Es gebe mehrere Türme in der Gegend, „und Wander­falken brauchen einen Abstand von 300 bis 400 Metern zueinander“. Die Bestände seien „schwer dezimiert“ gewesen, weil das Insektizid DDT ihre Eier zerstöre. Jetzt erholten sie sich.

1999 bezogen Wanderfalken in der Heiliggeistkirche in Heidelberg einen Nistkasten, den Schülerinnen und Schüler gebaut hatten. Seitdem gibt es dort jedes Jahr Nachwuchs.  2023 kamen Fortuna, Mireille, Stefan und Icarus auf die Welt. Die Heidelberger sind seit 2007 Teil von „Lebensraum Kirchturm“.

Seit fast 20 Jahren gibt es in der Laurentiuskirche in Usingen ein Projekt, das einst die ­örtliche Vogelschutzgruppe initiiert hat. Im ­Kirchturm finden sich Nistkästen für Dohlen und Schleiereulen sowie Nischen für Turmfalken, ­berichtet Sybille Winkelhaus vom Nabu Hoch­taunus. Die Nabu-Jugendgruppe sei gerade erst dort gewesen, um die Kästen zu reinigen. „Wir haben sehr viele Dohlen und Turmfalken, aber leider ­keine Schleiereulen mehr“, bedauert sie.

Die Nistkästen sehen aus wie Briefkästen-Schlitze
Stefanie Walter
Die Nistkästen erinnern ein bisschen an Briefkastenschlitze

Entscheidend sei, eine motivierte Nabu-­Gruppe im Umfeld zu haben, die langfristig die Bewohner im Kirchturm betreut, sagt Kaltwaßer.

Maren Heincke vom ZGV sagt: Ihrer Erfahrung nach klappe die Zusammenarbeit sehr gut. Manchmal brauche es ein wenig Geduld, bis sich ein neuer Bewohner ansiedelt. Und manchmal müsse man halt Bretter anbringen, damit kein Kot auf das Gebäude fällt.

Heincke sieht das Projekt durchweg positiv. Artenvielfalt im Kirchturm oder im Pfarrgarten schaffe eine große Zufriedenheit: „Die Kirchengemeinden haben Freude daran. Wo Schleiereulen sind, kommen abends Leute ­vorbei, um sie zu beobachten.“

Kathrin Kaltwaßer vom Nabu sieht in den ­Gemeinden noch viel Potenzial. Wichtig ist ihr auch das Thema Lichtverschmutzung: Beleuchtete Kirchtürme brächten den Lebensrhythmus der Tiere durcheinander. Fledermäuse könnten ­dadurch ganz vertrieben werden oder fielen ihren Fressfeinden leichter zum Opfer. Lichtverschmutzung setze auch Igeln, Insekten, Pflanzen und Bodenlebewesen schwer zu.

Oft gibt es alternative Lösungen wie reflektierende Markierungen oder korrekt eingestellte Bewegungsmelder, die dann eine sanfte Beleuchtung kurzzeitig aktivieren“, erklärt Kaltwaßer. Der Nabu-Bundesverband schreibt in einem Infoheft, dass für die zukünftige Auszeichnung der Kirchen auf den Aspekt der Beleuchtung stärker geachtet werden sollte. ­„Unbeleuchtete Kirchen bieten bessere Lebensstätten als beleuchtete.“

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Gerade Fledermäuse benötigen Schutz. ­„Denen brechen durch Gebäudesanierungen ­einfach die Wohnräume weg“, erklärt Kaltwaßer. Fledermäuse sind stark bedroht. „Wenn ­Schleiereule und Fledermäuse am Kirchturm ­aufeinandertreffen, führt es manchmal zur ­Verdrängung der Fledermauskolonie.“ ­Schleiereulen seien anpassungsfähiger, daher sollten Fledermäuse Vorrang vor einer neuen Ansiedlung von Schleiereulen haben.

In der Gießener Petrusgemeinde haben sie fünf Mauersegler-Nistkästen in petto, die noch nicht montiert sind. „Wir wollen erstmal abwarten und die Vögel nicht verwirren“, erklärt Volker Klingmüller. Die Lautsprecheranlage mit den Lockrufen benötigen sie nicht mehr, denn wenn sich die Tiere einmal angesiedelt haben, bleiben sie in der Regel auch. „Sie sind sehr wehrhaft“ – wenn sich Meisen oder Spatzen in den Nistkästen breitmachen, vertreiben die Mauersegler sie.