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Menschenrechte

Für die Frauen im Iran: Lauf von Frankfurt nach Berlin

Nasrin Jalali und ein Mann. Er hält einen Zettel hoch auf dem auf englisch steht: Woman, Life, Freedom.
privat
Nasrin Jalali informiert auf ihrer Tour Menschen über die Situation im Iran

Jeden Tag beinahe eine Marathonstrecke: Das läuft die Menschenrechtsaktivistin Nasrin Jalali. Die Menschen im Iran sollen nicht vergessen werden.

Nasrin Jalali, 58, wurde in Teheran geboren und lebt seit 1993 in Deutschland. Am 24. Februar hat sie sich auf den Weg gemacht, um von Frankfurt nach Berlin zu laufen. Nach gut 500 Kilometern will sie am 8. März, dem Weltfrauentag, am Brandenburger Tor ankommen.

Nasrin Jalali vor dem Ortseingangsschild von Trebitz
privat
Trebitz liegt etwa 40 Kilometer vor Dessau in Sachsen-Anhalt.

Jalali möchte auf die Menschenrechtslage in Iran aufmerksam machen. Seit zwei Jahrzehnten engagiert sie sich für die Frauenrechte in ihrer Heimat. Drei Tage vor ihrer geplanten Ankunft in Berlin – Jalali ist gerade in Sachsen-Anhalt nahe Dessau unterwegs – erzählt sie am Telefon von mutmachenden Begegnungen und einer großen Hoffnung.

Frau Jalali, vor anderthalb Wochen sind Sie in Frankfurt gestartet. Pro Tag legen Sie etwa 40 Kilometer zu Fuß zurück. Wie geht es Ihnen?

Nasrin Jalali: Ich bin müde. Ich bin richtig müde. Meine Füße tun richtig weh. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich mein Ziel erreichen werde. Ich werde am 8. März in Berlin sein, egal, was passiert. Und wenn ich den restlichen Weg kriechen muss.

Ist Ihre Aktion eine persönliche Grenzerfahrung?

Nasrin Jalali: Vor zwei Nächten bin ich sehr spät an meiner Unterkunft angekommen. Es war fast halb neun, es war total dunkel. Mein Handyakku war leer, lange konnte ich meine Unterkunft gar nicht finden. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Zum Glück hat mir dann eine Frau geholfen.

Inwieweit hilft Ihnen der Gedanke an die unterdrückten Menschen in Iran dabei, trotz Ihrer Schmerzen nicht aufzugeben?

Nasrin Jalali: Das gibt mir Kraft. Meine Blasen an den Füßen sind mit dem, was meine Landsleute in Iran ertragen müssen, überhaupt nicht vergleichbar. Ich komme nicht mal nah an deren Schmerzen und Leid heran.

Hilfsorganisation Háwar.help

Seit 2015 gibt es die Hilfsorganisation Háwar.help. Das kurdische Wort bedeutet Hilferuf. Gegründet, um auf den Genozid der Jesiden aufmerksam zu machen, setzt sich die NGO für weitere Menschenrechte ein, auch in Iran. Petition von Háwar.help für die Freiheitsbewegung in Iran

Warum haben Sie sich für einen Lauf von Frankfurt nach Berlin entschieden?

Nasrin Jalali: Unsere Revolution „Leben, Frau, Freiheit“ ist auch ein Marsch. Berlin und das Brandenburger Tor sind für mich Symbole der Demokratie. Jeder Schritt, den ich gehe, steht symbolisch für den Weg in Richtung Freiheit, mit all seinen Höhen und Tiefen. Der Weltfrauentag am 8. März ist die beste Gelegenheit, meinem Volk in Berlin eine Stimme zu geben.

Auf ihrem Weg treffen Sie viele verschiedene Menschen. Welche Begegnungen bleiben Ihnen in besonderer Erinnerung?

Nasrin Jalali: Vor einigen Tagen bin ich an einer Tankstelle vorbeigekommen, auch damals war mein Akku leer. In der Tankstelle habe ich eine ältere Dame getroffen. Sie hat mir einen Tee gemacht, ich konnte mein Handy aufladen, wir haben zusammen eine Zigarette geraucht. Ich bin sprachlos, wie vielen guten Menschen ich auf meinem Weg bereits begegnet bin.

Lauf von Frankfurt nach Berlin

Rund 40 Kilometer geht Nasrin Jalali jeden Tag. Insgesamt zwei Wochen. Dabei hat sie bereits Hessen, Thüringen und Sachsen-Anhalt durchquert. Auf ihrer Route liegen Orte wie Gedern, Rasdorf, Möllersgrund, Bad Tennstedt, Oldisleben, Wimmelburg, Könnern oder Dessau.

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Aktion?

Nasrin Jalali: Ich habe Leute getroffen, die haben noch nie von Iran gehört. Die wussten gar nicht, was der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ bedeutet. Die Reaktionen sind unterschiedlich, manche sind negativ.

Aber mir bleiben nur die Schönen im Gedächtnis. Heute Morgen war ich in einer Druckerei und habe dort einen Mann getroffen, der gesagt hat: ‚Ich bin gefühlt dreimal so groß wie Sie, aber so etwas wie Sie würde ich niemals machen, weil ich nicht den Mut dazu habe. Hut ab!‘ Wenn ich solche Komplimente höre, dann ist das für mich, als würde ich an einer Tankstelle Energie tanken.

Im Gepäck haben Sie auch Forderungen der Gruppe „Voice of Iranians“, die etwa den Stopp von Abschiebungen von Deutschland nach Iran verlangt. Werden Sie in Berlin darüber mit Politiker:innen sprechen?

Nasrin Jalali: Leider komme ich kaum an Politiker:innen heran. Ich habe sehr viele von ihnen angeschrieben, um kurze Gespräche gebeten. Bis heute habe ich keine einzige Antwort bekommen.

weiße Weste mit dem Text: Von Frankfurt nach Berlin
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Aber der 8. März ist ein großer Tag. Die Hilfsorganisation Hawar.help wird eine große Kundgebung veranstalten. Dort würde ich gerne sprechen, wenn ich die Gelegenheit erhalte.  

Wünschen Sie sich eine stärkere Unterstützung der deutschen Politik für die unterdrückten Menschen in Iran? 

Nasrin Jalali: Deutschland sollte keine wirtschaftlichen Verträge mehr mit Iran abschließen. Solange das passiert, ist das Doppelmoral. Es wird immer gesagt, wir stehen zu euch. Aber hinter verschlossenen Türen werden Verträge mit dem Blut unseres Volkes unterschrieben.

Die politisch Gefangenen in Iran sind in großer Gefahr, sie können jeden Moment hingerichtet werden.

Weil sie ein Lied gesungen haben. Weil sie für Menschenrechte eingestanden sind.

Um die Protestbewegung in Iran ist es zuletzt ruhiger geworden. Wer sich nur am Rande mit dem Thema befasst, könnte meinen, die Lage dort habe sich gebessert.

Nasrin Jalali: Letzte Woche hatten wir Wahlen für ein neues Parlament und einen Expertenrat. Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie noch nie (laut iranischer Regierung rund 41 Prozent, Anm. d. Red.). Das bedeutet: Wir wollen dieses Regime, wir wollen diese Diktatoren nicht.

In Deutschland haben viele gedacht: Die Proteste sind vorbei, die Menschen sind jetzt glücklich. Durch meine Aktion will ich die Aufmerksamkeit wieder auf Iran lenken. Die Lage dort ist immer noch schrecklich.

Protestwelle im Iran

Im Herbst 2022 kam die junge Iranerin Jina Mahsa Amini gewaltsam zu Tode, mutmaßlich, weil sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das staatliche Hidschab-Gesetz von der iranischen Sittenpolizei geschlagen und tödlich verletzt wurde. Es entwickelte sich eine Protestwelle, unter dem Slogan „Woman, Life, Freedom“ (Frau, Leben, Freiheit) forderten Iraner:innen unter anderem Frauenrechte, Gleichberechtigung und Demokratie. Das regierende Mullah-Regime ließ die Proteste teilweise brutal niederschlagen. Immer wieder kommt es in Iran zu willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen von Oppositionellen. 

Nach dem Tod von Jina Mahsa Amini sind Sie im Herbst 2022 in einen zwölftägigen Hungerstreik getreten. Zuletzt in Iran waren Sie 2007. Glauben Sie, eines Tages wieder in Ihre Heimat zurückkehren zu können?

Nasrin Jalali: An dem Tag, an dem das Mullah-Regime fällt, werde ich zurückgehen. Es ist ein Marathon. Wann wir ans Ziel kommen, steht in den Sternen. Aber ich möchte den Sieg der Revolution „Frauen, Leben, Freiheit“ in Teheran feiern. Selbst wenn es der letzte Tag meines Lebens ist. Ich möchte diesen Tag erleben.

Wie fällt Ihre Bilanz Ihrer Lauf-Aktion aus?

Nasrin Jalali: Ich bin überglücklich, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Ich schenke diesen Lauf den Kindern in Iran, die arbeiten müssen und nicht zur Schule gehen können, den Künstler:innen, die im Gefängnis sitzen und allen unseren politisch Gefangenen in Iran.